Hungerstreik in Grünau

Fast 70 Häftlinge im Abschiebegewahrsam verweigern Nahrungsaufnahme. Sie protestieren gegen menschenunwürdige Behandlung und lange Haftzeiten. Polizei sichert Gespräche mit Gefangenen zu

von HEIKE KLEFFNER

Mindestens 68 Häftlinge protestieren seit gestern im Abschiebegewahrsam Grünau mit einem Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen und die lange Dauer der Abschiebehaft. Wie ein Sprecher der Gefangenen der taz mitteilte, ist der Hungerstreik zunächst bis Donnerstag befristet. Ein tschetschenischer Häftling, der seit Monaten in der Abschiebehaft festgehalten wird, befinde sich jedoch schon jetzt in kritischem Zustand. Der Mann verweigert nach Angaben von Mitinsassen seit fünf Tagen die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit. „Der Mann ist so verzweifelt, dass er einen Durststreik begonnen hat“, sagte der Sprecher, der aus Angst vor Repressalien seitens der Gefängnisleitung anonym bleiben will.

Die Streikenden haben in offenen Briefen an Innensenator Ehrhart Körting (SPD), Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) und Polizeipräsident Glietsch ihre Forderungen dargelegt. Im Vordergrund steht insbesondere „die sofortige Entlassung von Menschen, die aus juristischen oder faktischen Gründen nicht abgeschoben werden können, aber trotzdem über sechs Monate in Haft sind“. Darüber hinaus fordern die Häftlinge, „die Beendigung der menschenunwürdigen Behandlung durch Polizeibeamte, Ärzte und Sozialarbeiter“ sowie eine Verbesserung der unzumutbaren hygienischen Verhältnisse. „Zwei statt wie bislang eine Stunde Hofgang“ gehört zu den Forderungen, die nach Ansicht des Häftlingssprechers sofort erfüllbar sind.

Ein Sprecher des für das Abschiebegewahrsam zuständigen Polizeipräsidenten erklärte dagegen, es handele sich keineswegs um „einen flächendeckenden Hungerstreik, sondern um eine Aktion“. Einige Gefangene hätten gestern Mittag und abends Anstaltsnahrung entgegengenommen. Nach Angaben der Antirassistischen Initiative (ARI) sind dagegen alle Gefangene der ersten Etage in Haus 3 des Abschiebegewahrsams im Hungerstreik. Diesen 42 Häftlingen hätten sich mindestens 26 aus anderen Häusern angeschlossen.

Polizeipressesprecher Matthias Prange wies die Kritik an der „menschenunwürdigen Behandlung durch das Anstaltspersonal“ als nicht zutreffend zurück. Verhandlungsspielraum gebe es hingegen bei der Frage der Vergitterung der Zellen und bei der Forderung nach einer sinnvollen Beschäftigung für die rund 326 Abschiebehäftlinge. Prange teilte mit, dass es heute zu einem Gespräch zwischen dem Anstaltsleiter, Polizeihauptkommissar Peter Eggert und Vertretern der Gefangenen kommen soll. Erste Gespräche habe es schon gestern gegeben.

Unterstützung erhalten die Häftlinge unter anderem von der Initiative gegen Abschiebehaft, vom Flüchtlingsrat und dem Jesuitenflüchtlingsdienst. „Die Forderungen entsprechen den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses und der Weisung des Innensenators zur Vermeidung von Abschiebehaft“, so Jesuit Dieter Müller. Nach wie vor würden Jugendliche inhaftiert. In vielen Fällen bekomme die überlange Abschiebehaft zudem den Charakter von Beugehaft.