One-way-Ticket nach Den Haag

Serbiens früherer Staatspräsident Milan Milutinović stellt sich dem UNO-Tribunal. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo zur Last gelegt

BELGRAD taz ■ Ohne viel Aufsehen zu erregen flog Serbiens Expräsident Milan Milutinović gestern von Belgrad mit einem Flugzeug der jugoslawischen Bundesregierung nach Den Haag. Dort stellte er sich freiwillig dem UNO-Tribunal für im ehemaligen Jugoslawien begangene Kriegsverbrechen. Milutinović werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt, die die jugoslawische Armee und die serbische Polizei im Kosovo begangen haben. Es erwartet ihn ein Prozess gemeinsam mit dem ehemaligen jugoslawischen Generalstabschef Dragoljub Ojdanić und dem ehemaligen jugoslawischen Vizepremier Nikola Sainović, die sich schon in Den Haag in Haft befinden.

Bis Dezemeber 2002 und damit mehr als zwei Jahre nach der Wende in Serbien amtierte Milutinović formal als serbischer Präsident. Er zeigte sich jedoch nur selten in der Öffentlichkeit. Die serbische Regierung wird für Milutinović Garantien abgeben, die dem einst engen Mitarbeiter von Slobodan Milošević ermöglichen sollen, in Belgrad auf den Prozessbeginn zu warten.

Obwohl Milutinović nach Milošević der ranghöchste Häftling des Tribunals ist, gehen Analytiker in Belgrad davon aus, dass er gute Aussichten hat, freigesprochen zu werden: Er soll keinen Einfluss auf die serbischen Streitkräfte im Kosovo während der Luftangriffe der Nato auf Jugoslawien 1999 gehabt haben und galt nicht als einer der Vertrauensleute von Milošević.

Umso unverständlicher ist, dass zum Beispiel bisher noch keine Anklage gegen den bis vor kurzem amtierenden jugoslawischen Generalstabschef Nebojsa Pavković erhoben worden ist. Pavković war als Kommandant der im Kosovo stationierten dritten Armee direkt für deren Gräueltaten verantwortlich.

Die ehemaligen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić und General Ratko Mladić, befinden sich immer noch auf freiem Fuß. Ebenso zwei von drei hohen Offizieren der jugoslawischen Armee, die für die Zerstörung der kroatischen Stadt Vukovar angeklagt worden sind. Niemand weiß angeblich, wo sich Mladić befindet, doch seine eventuelle Verhaftung bezeichnen die serbischen Behörden als einen „all zu hohen Risikofaktor“.

Die von der serbischen Seite begangenen Kriegsverbrechen und die schwierige Zusammenarbeit mit dem im Volk äußerst unpopulären Haager Tribunal wird von den meisten serbischen Politikern totgeschwiegen. Die Hauptklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, schäumt vor Wut und bringt alle paar Monate Beweise nach Belgrad über den angeblichen Aufenthalt von Mladić, den die Armee beschützen soll. „Die jugoslawische Armee ist nicht zuständig für den ehemaligen Kommandanten der bosnischen Serben, Ratko Mladić“, erklärte am Wochenende der jugoslawische Generalstabschef Branko Krga. Er beteuerte, dass die Armee keinem vor dem Tribunal Angeklagten Schutz biete und auch überhaupt nicht zuständig sei für ihre eventuelle Verfolgung und Verhaftung.

Washington drohte, die finanzielle Unterstützung für Jugoslawien einzustellen, falls Belgrad nicht alle Angeklagten dem Tribunal ausliefere. Auch die Aufnahme Serbiens und Montenegros in den Europarat könnte von der Zusammenarbeit mit dem Tribunal abhängig gemacht werden. ANDREJ IVANJI