Wirklichkeit ist besser

Fremdkörper im Betrieb: Denis Johnson war zu Gast bei seinem Verleger und las im Literarischen Colloquium Berlin

Einer der aufregendsten amerikanischen Autoren ist in der Stadt. Es herrscht gediegene Hysterie unter vielen Journalisten, große Interviews erscheinen in der lokalen Presse, und sogar einen kleinen Empfang gibt es für ihn, zu der nur die erlauchteste Crème des Literaturbetriebs geladen ist. Kaum dass Denis Johnson in Deutschland gelandet ist, wird ihm schon der erste Kneipenbesuch verwehrt und er muss den Ehrengast auf einer Party in der Kreuzberger Wohnung seines deutschen Verlegers geben. Nicht, dass es hier nicht hübsch wäre, in der Wohnung von Alexander Fest – einen schönen Wintergarten, eine sympathisch unordentliche Bibliothek hat er, der Johnson so richtig herausgebracht hat. Allein: So seriös geht es hier zu, dass man sich wieder wundert, warum die, die die Literatur verwalten, so wenig mit dem zu tun haben, wovon Literatur handelt. Der Einzige, der nicht in die Grüppchen meist älterer Herren passen will, die hier hermetische Subkreise im geschlossenen Gesamtkreis bilden, ist neben der überschlanken Siri Hustvedt: Denis Johnson.

Denis Johnson sieht aus wie einer der Handwerker aus der Vorabendserie „Hör mal, wer da hämmert“ – im Unterschied zu allen anderen hier also weder neurotisch noch interessant überspannt, noch auch nur akademisch. Er wirkt wie einer dieser amerikanischen Autoren, die früher einmal genug erlebt haben, dass ihre Literatur unendlich wird davon zehren können. Die jetzt ganz unspektakulär irgendwo mit ihren Familien wohnen, wo sonst niemand wohnt, in der Wüste, in der Prärie. Die kein Leben vorgaukeln müssen, weil sie eins haben. Wenn man Denis Johnson sieht, der einmal alkohol- und drogenabhängig war, ist man fast versucht, reaktionär zu werden und alle auf die Straße zu schicken, die meinen, sie könnten sich die Welt ausdenken.

Anderntags die Lesung von Denis Johnson im Literarischen Colloquium. Wider Erwarten ist die Veranstaltung rar besucht – Johnson hat sich also trotz der hymnischen Besprechungen im Feuilleton noch immer nicht bei seinen deutschen Lesern durchgesetzt. Zu stören scheint das Denis Johnson allerdings kaum. Immer wieder unterbricht er sich beim Lesen einer seiner Geschichten aus „Jesus’ Son“, entschuldigt sich grinsend dafür, dass er jetzt nicht genau wisse, ob er dieses oder jenes erklären solle, zumal ihm erzählt worden sei, dass man hier gebildeter sei als er selbst. Der in Berlin lebende amerikanische Autor Jeffrey Eugenides, der den Autor einführt, hat mit seinen ernsten Fragen keine Chance. Stattdessen erzählt Denis Johnson Anekdoten. Wie er sich zum Beispiel bei der Verfilmung von „Jesus’ Son“ um die Rolle des Patienten beworben habe, dem ein Messer bis zum Schaft im Auge steckt und es kaum merkt. Dass es diese Figur übrigens wirklich gegeben habe.

Genauso wie Hardee, den er wie der Erzähler in „Notaufnahme“ einmal eine Woche bei sich übernachten ließ und dann ein paar Monate später beim Trampen aufgabelte. Nicht nur das: Erst kürzlich, bei einer Lesung in Minneapolis, habe er Hardee noch einmal getroffen und eine Geschichte von ihm bekommen. Darin erzähle Hardee genau von jenem gemeinsamen Sommer, den auch er beschrieben habe. Und Hardees Geschichte sei besser gewesen als seine eigene. Die Wirklichkeit ist eben stärker als die Kunst. SUSANNE MESSMER