Eine Stadt vor Gericht

Hamburger Sozialhilfeempfänger wollen die Hansestadt vor dem US-Bundesgericht in New York verklagen – sie sehen ihre Grundrechte verletzt. Auf deutsche Gerichte wollen sie nicht mehr hoffen

von SANDRA WILSDORF

Hamburger Sozialhilfeempfänger wollen die Stadt vor dem US-Bundesgericht in New York wegen Verletzung von Grund- und Menschenrechten verklagen. Durchgeknallt? Keineswegs.

Rudi Bäcker hat eine Verwaltungsausbildung, Jura studiert und ist schwerbehindert. Er findet einfach keinen Job, eine Selbständigkeit scheiterte am fehlenden Kapital und bürokratischen Hürden. Seit gut fünf Jahren lebt er von Sozialhilfe. Oft schon kam sie zu spät, die Bank verlangt dann Stornogebühren. Er hat das Gefühl, keiner seiner Anträge wird bearbeitet. Vier Untätigkeitsklagen hat er laufen. „Das Verwaltungsgericht hat noch keine davon behandelt. Das kann Jahre dauern.“ Und der Widerspruchsausschuss? Bäcker winkt ab: „Da sitzen Berufsfunktionäre, pensionierte Amtsleiter und Senioren, die von den Problemen, über die sie entscheiden, im besten Falle nichts verstehen.“

Rechtsbeistand gebe es für arme Menschen faktisch auch nicht, die Öffentliche Rechtsauskunft sei heillos überlastet. „Und der Europäische Gerichtshof ist erst zuständig, wenn der nationale Rechtsweg zu Ende gegangen ist.“ Und dann die Medien, die Sozialhilfeempfänger fast nur als Schmarotzer und Betrüger darstellen. Irgendwann war Bäcker nur noch ein einziges „Es reicht!“

Je mehr Sozialhilfeempfänger er kennenlernte, desto mehr Leidensgenossen fand er. Bäcker weiß unendlich viele Geschichten von Demütigungen und Schikanen zu erzählen, die sich in Hamburger Sozialämtern zugetragen haben sollen (siehe Kasten links). „Ich stehe ständig unter Druck“, sagt eine Frau, die mit Bäcker und vier anderen Hamburgern nun den Weg nach New York gehen will.

Inspiriert von den Sammelklagen der Zwangsarbeiter haben sie bereits eine Klageschrift verfasst. Auf Englisch und im Namen von 140.000 möglichen Betroffenen, darin sind auch alle ehemaligen Sozialhilfeempfänger der vergangenen zehn Jahre enthalten. Als Schaden haben sie pro Person zwischen 5000 und 23.000 Dollar veranschlagt. Doch es geht ihnen nicht ums Geld. Es geht ihnen um einen Paukenschlag, „um eine Aktion, die der Stadt Angst und gleichzeitig auf unsere Rechte aufmerksam macht“. Am liebsten wäre ihnen, Hamburg lenkt vorher ein. Dann würden sie zehn Millionen Euro fordern und damit ihre Forderungen umsetzen (siehe unten).

Und wenn nicht? Dann hoffen die Kläger auf einen Richter, der es wie sie ungeheuerlich findet, dass es in einem demokratischen Land „für Sozialhilfeempfänger keinen wirksamen Grund- und Menschenrechtsschutz mehr gibt“. Und dazu noch in einer Stadt, die sich wie New York um die Austragung der Olympischen Spiele beworben hat.

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