piwik no script img

„Großkotzige lässt man auflaufen“

Wer keinen Streit will, macht einen Witz, den der Gegner erst nach fünf Minuten versteht: Eine Spezialität norddeutschen Humors, die nicht jeder schätzt. Der NDR widmet dem Phänomen eine Lesereise, auf der sich Komödianten und Literaten präsentieren

taz: Herr Bungartz, worin besteht der speziell norddeutsche Humor?

Christoph Bungartz: Wenn überhaupt, kann man das nur mit Hilfe einer sehr groben Abgrenzung definieren, von der es natürlich immer Ausnahmen gibt. Aber wenn Sie sich den Humor einer WDR-Sendung wie „Mitternachtsspitzen“ ansehen, werden Sie merken: Da geht es laut zu, da ist alles ein bisschen over-acted, und die Dinge werden bewusst karikiert, was mir als Rheinländer gut gefällt. Wenn Sie dagegen eine Figur wie den norddeutschen Dittsche sehen, der bedächtig in einer Hamburger Imbissbude steht, haben Sie schon zwei sehr verschiedene Spielarten von Humor. Mein Eindruck nach fast 20 Jahren in Hamburg ist, dass der norddeutsche Humor leiser und etwas hintergründiger ist. Er ist deshalb aber nicht unaggressiver oder weniger spitz als etwa der rheinische.

Aber der norddeutsche Humor ist bedächtiger.

Durchaus. Nehmen Sie zum Beispiel die Bierwerbung, in der ein Texaner in einer norddeutschen Kneipe damit prahlt, dass er mit seinem Auto vier Tage braucht, um seine riesige Farm zu umrunden. Danach herrscht zwei Minuten Schweigen, man trinkt etwas, man sinnt. Dann sagt einer am Tresen: So ein Auto hatte ich auch mal. Das ist die norddeutsche Art, großkotzige Leute auflaufen zu lassen, ohne direkt mit ihnen zu streiten. Man lässt stattdessen einfach verpuffen, was anderen wahnsinnig wichtig ist, indem man es subversiv unterläuft. Der Rheinländer würde in dieser Situation eher konfrontativ reagieren, den anderen als Angeber beschimpfen und so weiter.

Ist der norddeutsche Humor also feiner als der rheinische?

Ja, aber nicht im Sinne von „intelligenter“. Er hat durchaus seine brachialen, aggressiven Seiten, aber er plustert sich weniger auf. Der norddeutsche Humor ist in dem Sinne leiser, als er ein bisschen besser hinhört. Autoren wie Heinz Strunk oder Frank Schulz, die auf unserer Tournee lesen, gehen sehr bewusst mit Sprache und ihren Widersprüchlichkeiten um: Sie setzen auf eine gewisse Langsamkeit; das Lachen kommt da oft erst beim zweiten Hinhören.

Ist der Norddeutsche eigentlich stolz auf seinen so speziellen Humor?

Ich glaube, er käme nicht auf die Idee, stolz darauf zu sein, dass er an einem Tag möglichst viele Witze gemacht oder möglichst laut gelacht hat. Das tut wohl eher der Rheinländer. Ich könnte mir aber vorstellen, dass der Norddeutsche trotzdem sagt: Ein Tag, an dem man nicht gelacht hat, ist ein verschenkter Tag.

Wollen Sie also mit Ihrer Tournee beweisen, dass der Norddeutsche sehr wohl Humor hat, auch wenn ihm Außenstehende das nicht so recht zutrauen?

Ja, aber wir wollen es nicht bierernst tun. Es ist ja nicht so, dass die halbe Welt denkt, der Norddeutsche sei ein Stockfisch, hätte nichts zu lachen und stünde den ganzen Tag im Nebel an der Küste ’rum. Wir haben nicht eine These, von der wir denken, dass die Welt sie unbedingt kennen lernen muss, sondern wir sagen: Wir können auch komisch – für alle, die dachten, dass es nicht so sei. Um das zu belegen, haben wir nach Top-Autoren im norddeutschen Raum gesucht, die dem Leben eine humoristische Note abgewinnen können.

War bei manchen Schriftstellern intern strittig, ob sie überhaupt Humor haben?

Darüber gab es im Planungsteam sicherlich die eine oder andere Diskussion. Uns war aber sehr klar, dass wir nicht nur Comedians wollten. Denn wir haben schon den Anspruch, eine literarische Reise sowohl durch Norddeutschlands Städte als auch durch die norddeutsche Autorenszene zu machen. Schon dadurch ergibt sich, dass wir an einigen Abenden den subtilen, auch den literarischen Humor in den Vordergrund stellen. Autoren wie Karen Duve oder Matthias Politycki etwa würden sich selbst sicher nicht als humoristisch bezeichnen – anders als etwa Olli Dittrich oder Heinz Strunk. Trotzdem waren wir uns darin einig, dass in Duves und Polityckis neuesten Büchern so viel funkelnde Lebensbeobachtung und soviel klarer Blick auf Absurditäten des Alltags sind, dass sie einen Abend über norddeutschen Humor sehr gut tragen. Denn es gehören auch Schmunzeln und feine Ironie zum Humor. Es muss nicht immer das Schenkelklopfen sein.

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

Die Tournee „Der Norden liest – Wir können auch komisch“ des NDR-Kulturjournals beginnt am 3. 10. mit einer Lesung Axel Hackes in Hamburg und durchläuft bis 11. 12. neun weitere norddeutsche Städte

Fotohinweis:CHRISTOPH BUNGARTZ, 48, geboren in Krefeld, leitet seit 1997 die Abteilung Magazine im Programmbereich Kultur des NDR. Er verantwortet die Tournee über norddeutschen Humor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen