Mit schiefem Kopf ins Rote Trikot

Der Oberwiesenthaler René Sommerfeldt ist der erste deutsche Skilangläufer, der das rote Leibchen desWeltcup-Führenden tragen darf. Dies verdankt der 28-jährige Sportsoldat vor allem seiner Ausgeglichenheit

OBERHOF taz ■ Bisher schauten die Langläufer auf die Skandinavier. Die schrieben den Stil vor, der Rest kopierte. Die Zeiten haben sich geändert. „Ich hab bemerkt, dass jetzt alle bei mir abgucken“, sagt René Sommerfeldt, 28 und Spezialist für Skating-Technik. „Dabei habe ich gar kein besonderes Markenzeichen, ich lege nur den Kopf schief wie Harry Kirvesniemi.“

Lange Zeit wollte die Szene laufen wie der Freistil-Experte Per Elofsson. Die Hüfte nach vorn schieben, lange gleiten und im „Eintakt“ über die Strecke gehen, also bei jedem Schlittschuhschritt einmal mit den Armen anschieben. Sommerfeldt hat die fließenden Bewegungen des Schweden bewundert – und sich den eigenen zugewendet. Er verfügt gar nicht über die Armkraft, um dessen Technik nachzuahmen. Also läuft Sommerfeldt wie Sommerfeldt, „zu 80 Prozent aus den Beinen heraus“ und mit dem schiefen Kirvesniemi-Kopf.

Diese Art zu laufen ist schnell. Sie hat dem Sportsoldaten aus Oberwiesenthal das Rote Trikot des Weltcup-Führenden eingebracht. „Es hätte doch nie jemand gedacht, dass sich das mal ein Deutscher überstreifen darf“, sagt er. Sommerfeldt findet es höchst erstaunlich, dass er das Leibchen trägt und nicht ein Norweger, Finne oder Russe. Der 1,75 Meter große und 69 Kilo schwere Sportler ist der erste Langläufer des Deutschen Ski-Verbands, der zu diesen Ehren kommt. Vor zwei Jahren hat Dopingsünder Johann Mühlegg Rot getragen, allerdings für den spanischen Verband. Und Anfang der Siebziger war es der Thüringer Gerhard Grimmer, der vorn lag. Damals aber wurde noch kein Leibchen vergeben. „Ich mache jedes Rennen mit, um das Trikot zu verteidigen“, sagt Sommerfeldt, wer weiß, wann solch eine Chance wiederkommt. Deswegen hat er sich zuletzt auch nach Otepää in Estland begeben, um in der klassischen Technik 30 Kilometer zu laufen. Ergebnis: Platz 22 und Krämpfe in den Armen. Egal, elf Punkte hat die Tortur gebracht, sonst hätte er sie sich nicht angetan. Zu lang, zu klassisch, kein Sommerfeldt-Rennen. Aber so ein Trikot ändert die Perspektive. Wo es nur geht, sollen jetzt Punkte her, um den knappen Vorsprung auf den Schweden Mathias Fredriksson und Tor Arne Hetland aus Norwegen zu behaupten.

Das gilt auch für die Wettkämpfe in Oberhof, wo Sommerfeldt am Wochenende startet. Am Samstag ist ein Massenstart-Rennen über 15 Kilometer klassisch angesetzt, am Sonntag die Sprintstaffel. Ihm kommt entgegen, dass er überall Punkte sammeln kann, ob in seiner bevorzugten Stilart, im Sprint oder im Diagonalschritt. „Meine Stärke ist die Ausgeglichenheit.“ Meist ist er vorn dabei, gewonnen hat er in dieser Saison erst ein Rennen im russischen Kawgolowo.

Doch Sommerfeldt sorgt nicht allein für Furore. Axel Teichmann holte in der Ramsau den ersten Weltcup-Erfolg eines Deutschen seit dem Sieg von Jochen Behle 1989 in Calgary. Behle ist nun Bundestrainer und mitverantwortlich für den Schub, der die Langläufer erfasst hat. „Früher wurden alle über einen Kamm geschoren“, sagt Sommerfeldt, „seit Behle am Drücker ist, sind die Stützpunkte viel wichtiger geworden.“ Die Leistungszentren in Oberhof, Bayern und Oberwiesenthal arbeiten weitgehend autonom. Aus allen dreien kommen Spitzenathleten, mit Tobias Angerer (Ruhpolding), Teichmann (Oberhof) und Sommerfeldt, der seit 1999 im Erzgebirge unter Leitung von Heinz Nestler trainiert.

Das ist auch der Zeitpunkt, ab dem es mit ihm bergauf ging. Im Weltcup 1998 unter ferner liefen registriert, sprang mit dem neuen Coach gleich der 13. Platz heraus, dann gewann er Silber bei der WM in Lahti. Im Olympiajahr wollten Nestler und Sommerfeldt auf das ohnehin schon intensive Training „noch eine Schippe drauflegen“. 1.000 Kilometer mehr standen an. Beide wollten zu viel. „Wir haben kaum noch Pausen gemacht, das ging bis in den Herbst gut, dann war der Ofen aus, ich habe mich gerade noch so für Olympia fit machen können“, so Sommerfeldt.

Die Spiele liefen bis auf Bronze in der Staffel alles andere als gut. Danach wusste er: Die richtige Dosis bringt’s. Seitdem lässt er es ruhiger angehen. „Der Heinz“, sagt er, „ist einer, der mich immer rumscheuchen will, aber auch er hat gemerkt, dass das nicht nur positiv ist.“ Wichtig sei, die Waage zu halten: „Das faule Schwein“, wie sich Sommerfeldt einmal selbst genannt hat, zu hartem Training anzuhalten, aber keine Überlastung zu riskieren. „Mehr trainieren als wir kann man eigentlich nicht“, sagt er und will das so verstanden wissen, dass ihn nur Training antreibe, nicht etwa Doping. Im Skilanglauf ist das alles andere als eine Selbstverständlichkeit. MARKUS VÖLKER