„Drauf, immer drauf“

„Individualität kriege ich nicht, wenn ich einen Spieler unterdrücke“

Interview JOCHEN GRABLER
und PETER UNFRIED

taz: Herr Schaaf, mit Ihnen kann man richtig viel Geld verdienen.

Thomas Schaaf: Mit mir?

Ja. 200:1, falls Sie als erster Bundesligatrainer entlassen werden sollten. Mehr Rendite bringt keiner.

Wenn es so sein sollte, dann spricht das sicherlich für unseren Erfolg. Ich denke aber, dass das nicht unbedingt eine tolle Sache ist, dass man damit Geld verdienen darf, wenn einer den Job verliert.

Empfinden Sie das als unanständig?

Ja, was ist unanständig? Heute, in unserer Gesellschaft? Die Werte an sich haben sich geändert.

Das Massenpublikum bringt das Geld in den Fußball, dafür will es Trainer wie Gladiatoren fallen sehen?

Ich weiß, dass es Teil des Geschäfts ist. Aber für mich ist da zu viel Blitzlicht dabei. Es gibt immer nur Schwarz und Weiß. Schauen Sie doch mal zum Fenster raus …

es ist ziemlich Grau.

Eben. Nicht Schwarz oder Weiß.

Und?

Und das interessiert aber die Leute nicht. Es interessiert nur das Extreme. Da gehen die Scheinwerfer drauf und da wird drüber berichtet, ob es positiv ist oder negativ. Drauf, immer drauf.

Spielen Sie auf den Fall Ihres stark kritisierten Torhüters Borel an?

Es hieß immer: Borel, Borel, Borel. Er war auch an Toren schuld, keine Frage. Aber das waren wir alle. Und es wurde projiziert auf eine Person. Irgendwann musst du aufstehen und sagen: So, liebe Leute, bis hierhin und nicht weiter.

Nach dem Spiel gegen Kaiserslautern kam es zu einer Solidaritätskundgebung durch seine Mitspieler.

Ja. Das war für mich ein wunderschöner Moment in diesem Jahr. Da hat eine Mannschaft dokumentiert: Wir sind ein Team. Hat demonstriert, dass es auch in diesem Geschäft Werte gibt und Dinge, die nicht gehen. Das war superklasse.

Herr Schaaf, Weggefährten wie Nationalspieler Marco Bode haben Ihre Arbeit bei Werder von vornherein als langfristiges Projekt gesehen. Jetzt sind bald vier Jahre rum. Wo sehen Sie sich?

Ich habe versucht, meinen Weg zu gehen. Natürlich wächst man mit der Zeit, man wird in einigen Dingen souveräner, in anderen Dingen vielleicht noch verbissener. Aber ich glaube nicht, dass ich in irgendeiner Art und Weise meinen Typ verändert habe. Das ist für mich wichtig. Ich will arbeiten. Nicht irgendeine Rolle spielen.

Man hat den Eindruck, Sie arbeiteten auch am Langzeitprojekt, klarzumachen, dass Show nicht per se eine Qualität ist. Dafür schilt man Sie nach wie vor als dröge.

Vom Erscheinungsbild mag das vielleicht stimmen, weiß ich nicht, ist mir auch wurscht, aber inhaltlich stimmt das sicher nicht. Und 95 Prozent, oder sagen wir 80 Prozent, von denen, die mit einer vorgefertigten Meinung zu mir kommen, gehen weg und sagen, das ist ja unglaublich, mit dem kannst du Storys machen, Interviews machen, Aufnahmen machen. Ich gebe allerdings zu, ich habe vielleicht so eine besondere Art von Humor.

Was ist das für ein Humor?

So ein bisschen spitz. Ich mag lieber diesen hintergründigen Witz, bei dem man auch mal eine Sekunde braucht, um zu begreifen, was will der eigentlich sagen. Die Bremer haben das aber ganz gut begriffen.

Andere nicht?

Na ja, ab und zu muss ich auch mal sagen: Das war jetzt ein Spaß.

Vielleicht speisen sich die Vorurteile aus einer antiquierten Vorstellung darüber, wie ein Trainer zu sein hat.

Nämlich wie?

Eine Art großer Zampano, der alles weiß, alles bestimmt und das auch gerne in alle Mikrofone reinerzählt.

Es gibt sicherlich Trainer, die vielleicht ganz autoritär, streng, als Zampano, als der große Dirigent draußen stehen – und damit auch im Vordergrund. Und die damit auch erfolgreich sind.

Sie sind keiner von denen.

Ja. Es gibt eben andere, die vielleicht was anderes erlebt haben, eine andere Laufbahn haben. Eine gewisse Show gehört dazu, aber es kann für einen Trainer wichtiger sein, anderes in den Vordergrund zu stellen.

Was?

Vor allem seine Mannschaft. Für meine Arbeit ist es wichtiger, das eine oder andere mehr rauszutüfteln, als im Blitzlicht zu stehen.

Es gibt da noch mehr in Ihrer Generation.

Ja. Wolfgang Wolf, Matthias Sammer …

Ralf Rangnick?

Ja, Ralf. Es gibt da einige. Ich nehme selbst Rudi Völler nicht aus.

Dem DFB-Teamchef haftet aber das Mythische an, in der Nachfolge des größten Zampanos aller Zeiten – Franz Beckenbauer.

Mag sein. Aber seine Arbeitsweise geht in diese Richtung. Man sieht in ihm ja nicht den Autoritären, sondern man sieht ganz genau, wie er mit der Mannschaft und mit dem einzelnen Spieler arbeitet. Und wie er das rüberbringt.

Der moderne, rationale Fußball-Lehrer nimmt sich selbst zurück?

Ich bin doch ein Teil des Teams. So muss ich mich doch sehen. Nur auf den Platz rennen darf ich nicht mehr. Denn wenn ich drauf laufe, dann bin ich ganz schnell auf der Tribüne.

Warum tragen Sie am Spielfeldrand nie Anzüge?

Vielleicht trage ich irgendwann auch mal einen. Wenn wir die Champions League mal erreichen sollten, vielleicht steht das im Regelheft, dass man einen Anzug tragen muss.

Vielleicht sollten Sie sich schon mal einen kaufen, vorsorglich.

Vielleicht hätte ich noch einen im Schrank.

Herr Schaaf, auffällig ist, dass Sie mit Ihrem Stil aus scheinbar mittelmäßigen oder problematischen Profis Höchstleistung herausholen.

Um das Potenzial rauszukitzeln, muss man genau schauen, mit was für einem Typ man es zu tun hat – und was man tun kann, damit er sich etwas freier fühlt. Und was man vielleicht dafür in Kauf nehmen muss – ohne die Gemeinschaft, ohne das System zu verlassen. Man muss bereit sein, irgendwo noch eine Möglichkeit zu finden, und wenn es noch so schwierig ist oder verrückt, um an die schöpferischen Qualitäten eines Spielers ranzukommen.

Das hat zuletzt bei Ihrem brasilianischen Stürmerstar Ailton geklappt.

Ja. Man weiß zwar genau: Irgendwann kommen seine komischen fünf Minuten. Aber man weiß auch, dass er dich dann wieder belohnt dafür, dass man sie ausgehalten hat. Individualität kriege ich nicht, wenn ich die besonderen Fähigkeiten und die Eingebungen eines Spielers unterdrücke.

Trotzdem müssen Fußballer autoritär geführt werden.

Wer sagt das?

Kluge Leute.

Warum? Warum?

„Ich dröge? Vom Erscheinungsbild vielleicht, ist mir auch wurscht“

Weil der mündige Profi nicht existiert. Weil der Profi an sich schlecht ist.

Ja, also, wenn das Bild besteht, dann besteht es. Aber es ist falsch. Sicherlich wird es immer Spieler geben, die versuchen, alles auszunutzen. Aber es gibt auch immer welche, die arbeiten ohne Ende und geben auch alles für ihren Job. Das ist wie in jeder anderen Firma.

Wie halten Sie die Balance?

Man gibt eine Philosophie vor als Trainer – und ein Ziel. Und dann setzt man seine Mitarbeiter, die Spieler, dafür ein. Ich gebe einen Rahmen vor, eine gewisse Begrenzung, damit eine Gemeinschaft funktioniert. Der Spieler muss sich an diese Grundordnung halten, aber darüber hinaus muss ich ihm innerhalb seiner Möglichkeiten, freie Wahl lassen.

Herr Schaaf, Werder ist der einzige Klub in der Bundesliga, der einen kontinuierlichen Aufwärtstrend hat. 13, 9, 7, 6 waren die Endplatzierung seit Sie eingestiegen sind.

Da müssen wir ja bald Erster sein.

Na ja, man sieht an kleinen Schritten auch, wie schwierig es ist.

Stimmt. Aber man kann sich das ja mal anschauen, was in den letzten Jahren hier vollzogen worden ist. Wir haben einen 30-Mann-Kader verkleinert, eine andere Altersstruktur, wieder aktuelle Nationalspieler. Da ist schon was bewegt worden. Und das spiegelt sich Gott sei Dank auch in der tabellarischen Entwicklung wider.

Sie sind jetzt Dritter. Am Saisonende stehen in der Regel die fünf vorn, die das meiste Geld in den Kader investiert haben. Dazu gehört Werder nicht.

Natürlich kommen wir nicht an die finanziellen Möglichkeiten von Bayern München, Borussia Dortmund oder von Hertha BSC Berlin ran. Trotzdem muss man Modelle erarbeiten: Wie könnte ich? Aber das ist bei den begrenzten Möglichkeiten des Standortes ein sehr hoher Anspruch, den wir auch selbst an uns stellen.

Wie könnte es gehen?

Um da oben langfristig mitzusingen, musst du von der Wirtschaftlichkeit her die Champions League erreichen. Weil dort mehr Einnahmen gesichert sind. Aber das kann man nicht planen. Man muss versuchen, mit dem, was man hat, dorthin zu kommen. Das verbessert die wirtschaftliche Situation. Dann hat man die Chance, das auch zu halten.

Das heißt: Sie müssen die Champions League dieses Jahr schaffen?

Nein, nein: Ziel ist der internationale Wettbewerb. Damit haben wir Chancen auf zusätzliche Einnahmen. Die Champions League wäre der Optimalfall.

Viele benutzen den Fußball für schöne Träume.

Ohne Frage. Es gibt in Bremen genug dieser Träumer.

Was tun Sie für die?

Die lassen wir alle schön weiter träumen.