Altes Europa – neues Europa
: „Wir sind Partner, kein Protektorat“

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

„Dieser Rumsfeld!“ Der Seufzer eines deutschen Diplomaten drückt weniger Verärgerung aus als Verwunderung. Dass Rumsfeld gern den Polterer vom Pentagon gibt, weiß gerade die deutsche Regierung aus eigener Erfahrung, doch meist verfolgte er einen klaren Zweck. Diesmal gibt seine Absicht Rätsel auf: Mit dem jüngsten Ausfall schadet der Amerikaner nach deutscher Überzeugung in erster Linie seinen eigenen Zielen.

Dabei geht es weniger um Berlin als um Paris. Die französische Regierung, bisher deutlich zurückhaltender als die Bundesregierung in ihrer Ablehnung des amerikanischen Irakkurses, wird dank Donald Rumsfeld weiter in die Arme der Deutschen getrieben, statt ins Lager der USA zurückgeholt.

„Rumsfeld ist kein Diplomat“, versucht ein diplomatischer Volker Rühe (CDU) zu erklären. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag setzt Rumsfelds Weltsicht eine versöhnlichere Interpretation entgegen: Statt alt oder neu gebe es „ein ganz neues Europa“.

Die fehlende analytische Schärfe der Unterscheidung zwischen altem und neuem Europa nimmt auch eine spöttisch gestimmte CDU-Chefin aufs Korn. Mit Blick auf ihre eigene Biografie, so die gebürtige DDR-Bürgerin Angela Merkel, wisse sie gar nicht, was sie nun sei – eine alte oder neue Europäerin.

Aus dem US-Minister spreche „das Denken alter Männer und kalter Krieger“, schließt die Grünenpolitikerin Claudia Roth. Immerhin war Rumsfeld schon in den 70er-Jahren einmal Verteidigungsminister. Außenminister Joschka Fischer sucht dagegen den beleidigenden Stachel in Rumsfelds Aussage schlicht zu ignorieren: „Herr Rumsfeld hat die Europäer als alt beschrieben. Und in der Tat sind die Kulturen und die Staatenbildung in Europa älter als in den USA.“

Gelernte Außenpolitiker wie der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler oder Hans-Ulrich Klose ziehen aus Rumsfelds Ausbruch Rückschlüsse auf ein angeknackstes Zutrauen im Pentagon. „Das ist ein hilfloser Ausdruck der Kritik“, glaubt Erler. „Die Amerikaner können nicht Länder zum Problem erklären, nur weil diese die Position der Amerikaner nicht teilen“, moniert auch Klose.

Die schärfste Reaktion kommt allerdings nicht aus dem rot-grünen Lager oder von der PDS. Der CSU-Europapolitiker Bernd Posselt wirft dem Herrn über das Pentagon wegen der Kritik an Deutschland und Frankreich „Neokolonialismus“ vor. Die USA müssten lernen, so Posselt, dass die Europäische Union Partner und nicht Protektorat sei.

Viel Erfolg dürfte Rumsfeld mit seiner Intervention nicht haben, glauben deutsche Diplomaten. Osteuropäische Staaten wie Polen wüssten, dass sie sich um die Aufnahme in die EU bemühten, nicht um eine in die Vereinigten Staaten von Amerika.