Das Jammern im Tal lassen

Mit der „Show des Scheiterns“ im Podewil will Stefan Orlac als Moderator des Abends auf lustige Art Lebenshilfe geben – ohne damit eine „Loserfreakshow“ zu zelebrieren

Maria hat ein starkes Parfum aufgelegt. Sie steht an der Bar und redet schnell und ungefragt. Wie wir die Show so fanden – ja, gut – ihr sei das ganze nicht intellektuell genug gewesen, sie hat mehr Tiefe erwartet. „Da bin ich wohl eher Old School“, meint sie kulturkritisch in Richtung Spaßgesellschaft, schüttelt ihr dünnes Haar und geht.

Spaßüberdruss hin oder her, am Donnerstagabend amüsierte man sich bei der „Show des Scheiterns“ ganz prächtig. Wer noch Zutritt bekam zum überfüllten Clubraum des Podewil, der konnte sich glücklich schätzen – hing dies doch maßgeblich von der strengen Türdame ab, die wohl früher schon, als das Podewil noch „Haus der jungen Talente“ hieß, an diesem Ort Kultur bewachte. „Old School“ wohl auch das.

Auf der Bühne dann eröffnet ein Polylux-Gerät (oder auch Overhead-Projektor) den Abend, mit bunten Folien, von denen der Zuschauer abliest, was passiert. Wir sind bei der „Show des Scheiterns“, vierte Folge, uns erwarten drei Referenten, ein Moderator, ein Protokollant und ein Mandolinenshoworchester. Die „Show des Scheiterns“, ein tiefsinnig-ironisches Unterhaltungsformat mit kathartischen Effekten, das sich um die Schattenseite der Erfolgskultur bemüht, ist erfolgreich. Seit dem letzten Sommer läuft die Veranstaltung mit wachsender Publikumsbegeisterung, so dass die Veranstalter vom Club der polnischen Versager ins Podewil umzogen. Initiatoren, Macher und Performer der Show sind die „Kulturagenten“ Thorsten Schwarz, Boris Jöns und Sebastian Orlac, die es quasi aus einer Notlage heraus auf die Bühne zog: Sie waren es leid, auf Partys ständig die „Jammergeschichten“ ihrer Mitmenschen anzuhören. Denn, da ist sich Moderator Orlac mit dem glucksenden, kopfnickenden Publikum einig, nach der Phase der „Erfolgsgeschichten“ in den frühen bis mittleren Neunzigerjahren steht nun die Zeit der Misserfolge an, der gescheiterten Vorhaben, Existenzen, Visionen.

Um aber das Unglück zu beenden, gibt es die Show. Hier sollen Menschen von ihren gescheiterten Projekten erzählen. Mit Hilfe eines Experten sollen sie sich an die Wurzel des Scheiterns zurückversetzen und ihre Haltung zum Problem klären und sich darauf, in einem rituellen Akt der Vernichtung, vom Ballast befreien. Ein großes Vorhaben, das schnell ins lächerlich Pathetische kippen kann.

Doch Orlac, der junge blonde Mann im beigen Kordanzug, der zum Warm-up den Verliererschlager „I’ve got the will to fail“ singt, will keine „Loserfreakshow“. Es geht um ernsthafte Auseinandersetzung mit Humor, um intelligentes Entertainment. Und das funktioniert. Ein junger Filmemacher erzählt von der Angst, die ihn befiel, nachdem er in seine Traumwohnung in ein ehemaliges Pfandleihhaus an der Wiener Straße gezogen war, ein Umstand, der ihn geistig und physisch verfallen ließ – er aß nur noch Döner und Fertigpizza – und nach nur zwei Monaten aus selbiger wieder vertrieb.

Der Autor und Wolfsforscher Helmut Höge, Experte des Abends, meint, das läge am Erbe der alten Pfandleihe, das keine gute Wohnstimmung erzeuge. Das leuchtet dem jungen Mann zwar ein, aber zur symbolischen Vernichtung seines gescheiterten Projekts „Traumwohnung“, die betreffenden Dokumente auf der Bühne zu zerschreddern, ist er dennoch nicht bereit. Er hätte ja auch noch einen gültigen Mietvertrag, da müsse er erst mal raus. Die Verbindlichkeit zwischen Bühne und Publikum stellt sich her, weil Scheitern konkret erzählt und analysiert wird und dabei auch seinen Schrecken verliert. Die Fälle sind echt, und keine Fiktion, das Setting ist low-budget-mäßig schick, und die Musik ist gut. Zum Schluss singt Orlac den Honkytonk-Song „Born to lose“, und wir fühlen uns wohl. Scheitern als Chance.

JANA SITTNICK

Nächste Show am 6. 3., 20 Uhr im Podewil, Klosterstraße 68–70; Kartenvorbestellung: Tel. 24 74 97 77; Anmeldung als Referent unter www.show-des-scheiterns.de