: Orientalischer Erzähler im westlichen Kino
Atom Egoyan, Filmemacher, Autor und Produzent, sitzt der diesjährigen Berlinale-Jury vor
Atom Egoyan ist der Jury-Präsident der bevorstehenden Berlinale. Als Filmemacher, Autor und Produzent gilt er als eines der erfolgreichsten Ziehkinder des legendären amerikanischen Independant-Festivals in Sundance. Atom Egoyan, Nachkomme armenischer Genozid-Flüchtlinge, geboren in Kairo und aufgewachsen in Kanada, ist ein rätselhafter orientalischer Geschichtenerzähler im westlichen Kino; ein Spieler mit der Logik der Zeit, die die amerikanisch geprägte Zivilisation für normal hält; ein Voyeur der tieferen Folgen von kulturellen Sehverboten – keine schlechte Wahl zum Präsidenten einer Berlinale-Jury in latenten Kriegszeiten wie diesen.
Sein neuester Film heißt „Ararat“ wie der biblische Berg, auf dem Noah mit seiner Arche nach der Sintflut gelandet sein soll. Der Ararat liegt im Nordosten der Türkei, dem einstigen Stammland der Armenier. Heute gilt der Berg als ein Symbol für den Massenmord an dem stolzen Bergvolk, mit dem die Türken Anfang des vergangenen Jahrhunderts dessen mögliche Annäherung an den mächtigen russischen Nachbarn bestrafen wollten.
In „Ararat“ geht Egoyan zurück auf dieses verdrängte Trauma, er erzählt es als Film-im-Film-Geschichte, aus seiner Perspektive des Bildermachers, Kosmopoliten und heutigen Zeitgenossen, expliziter als schon einmal 1993 in „Calendar“.
Damals hatte er ein Paar nach Armenien geschickt, wo es alte Kirchen für einen Kalender fotografierte, und ließ das ambitionierte Unternehmen der beiden Bilderästheten in deren Eifersuchtsquerelen versacken. Den Fotografen spielte er selbst; Arsinée Khanjian, Egoyans Ehefrau, gab im Film die Frau und ist auch bei den anderen Filmen dabei.
„Gefühlskino“ könnte als lockere Annäherung an das herhalten, was Atom Egoyans persönliche Handschrift ausmacht. Auf Genres, Themen, Kunstgattungen lässt er sich nämlich nicht einengen, und ebenso gehört es zu seinem Selbstverständnis, die eigenen Filme zu produzieren.
Zurzeit inszeniert er Wagners „Ring des Nibelungen“ für die Canadian Opera Company. Im letzten Jahr inszenierte er „Krapp's Last Tape“ von Samuel Beckett für das kanadische Fernsehen. Kunstinstallationen von ihm touren durch die internationalen Museen und waren unter anderem bei der Biennale in Venedig ausgestellt. Atom Egoyan ist nach zahlreichen Auszeichnungen für seine bislang 27 Filme inzwischen sein eigener Zirkulationsagent (nicht der einzige) in Sachen international präsentabler Multifunktionskunst.
Angefangen hat das alles in Toronto, wo der 1960 geborene Egoyan neben seinem Studium (internationale Beziehungen) Kurzfilmexperimente startete und zum zähen Aufstieg in der kanadisch-amerikanischen Independent-Szene ansetzte. Seine Eltern, die nach Victoria in der Provinz British Columbia ausgewandert waren, finanzierten mit einem Möbelgeschäft ihre Malkunst, der Sohn wollte Dramatiker werden, entschied sich aber fürs Fotografieren und Filmemachen. Seit „Family Viewing“ (1987), „The Adjuster“ (1991), „Exotica“ (1994) und zuletzt „The Sweet Hereafter“ (1997) ist Egoyan auch im europäischen Kino eine feste Größe. Liebe, zumal die familiäre, die über den Tod hinaus zu surrealen Projektionen und seltsam melancholischen Ritualen treibt, fasziniert ihn. CLAUDIA LENSSEN
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