So funktioniert der Irak-Konflikt

von THILO KNOTT, BEATE SEEL,
MICHAEL STRECK, ANDREAS ZUMACH

1. Will George W. Bush Krieg?

Misst man Bush an seinen Worten, ist er nicht völlig kriegsbesessen. Wiederholt hat er betont, dass er eine Lösung der Irakkrise ohne Waffengewalt vorzieht. Betrachtet man seine Taten, den gewaltigen Militäraufmarsch am Golf, scheint er jedoch zum Krieg bereit. Bushs Naturell entspricht die Provokation und das Pokerspiel. Seine Strategie: Aufbau einer Drohkulisse und alle Optionen offen halten. Sein Ziel: Regimewechsel im Irak. Er und seine Sicherheitsberater glauben, nur dies garantiere die Abrüstung aller Massenvernichtungswaffen und verhindere eine Wiederbewaffnung. Im Weißen Haus herrscht die Ansicht, dass es ein Fehler war, 1991 nicht bis nach Bagdad marschiert zu sein. Diesen will man nun korrigieren. Eine Invasion ist jedoch auch für die Bush-Regierung nur das letzte Mittel. Doch: Nur eine glaubhafte Drohkulisse wirkt als Kriegsverhinderungstrategie.

2. Wer kann Bush noch am Krieg hindern?

Noch kein US-Präsident hat einen Krieg ohne die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung geführt. Bei der gegenwärtig skeptischen Stimmung im Land, würde Bush mit einem Irakkrieg ein hohes persönliches und innenpolitisches Risiko eingehen. Überdies ist Amerika momentan international fast isoliert. Erheblicher Widerstand kommt aus Europa und dem UN-Sicherheitsrat und verfehlt seine Wirkung nicht. Es darf bezweifelt werden, dass die USA allein in die Schlacht ziehen, sollten die Alliierten die Gefolgschaft verweigern.

3. Geht es den USA um Öl?

Angeblich nicht. Aber dass die weltweit zweitgrößten Ölreserven keine Rolle spielen, ist doch schwer zu glauben. Schließlich ist der Ölhunger der USA ungebrochen, auch wenn sie ihre Abhängigkeit von Importen nach der Energiekrise in den 70er-Jahren verringert haben. Eine Okkupation des Irak durch US-Streitkräfte würde US-Firmen eine günstige Ausgangsposition bei der Neuaufteilung der Märkte verschaffen – Russland fürchtet sie, da es in die irakische Ölindustrie investiert hat.

4. Geht es den USA um Menschenrechte und Demokratisierung?

Primär geht es der Bush-Regierung um die nationale Sicherheit. Sie sucht nach geeigneten Antworten auf die Attentate des 11. September. Die Konfrontation mit dem Irak wird als Teil des Kampfes gegen den Terror verstanden. Ein Angriff wäre die erste Umsetzung der Präventivschlag-Doktrin. Man will verhindern, dass „Schurkenstaaten“ Terroristen mit Massenvernichtungswaffen versorgen. Darüber hinaus ist die Bush-Regierung von einem missionarischen Eifer getrieben, der Welt Freiheit und Menschenrechte zu bringen. Manche sehen darin nur einen moralischen Deckmantel für eine nüchterne Interessenpolitik. Andere erkennen unter Bushs Führung einen deutlichen Schwenk zu einem religiösen Sendungsbewusstsein.

5. Geht Saddam Hussein ins Exil?

Hinter den Kulissen gibt es intensive Bemühungen, Saddam Hussein zum Abtritt von der Macht und zum Gang ins Exil zu bewegen, um so einen Krieg noch zu vermeiden. Aktiv involviert in diese Bemühungen sind die russische Regierung (mit Rückendeckung von Bush) sowie einige Regierungen arabischer Staaten. US-Verteidigungsminiser Donald Rumsfeld hatte diese Woche durch die Erklärung, die Bush-Administration strebe nicht an, Saddam Hussein vor ein internationales Gericht zu bringen, auch öffentlich das Interesse Washingtons an einem Regimewechsel in Bagdad ohne Krieg signalisiert. Über die Chance darauf, dass Saddam Hussein auf die Macht verzichtet, existieren unterschiedliche Einschätzungen.

6. Hat der Irak Massenvernichtungswaffen?

Die UN-Inspektoren haben seit Beginn ihrer Arbeit am 27. November noch keine Massenvernichtungswaffen oder verbotene ballistische Raketen gefunden. Vier der fünf konkreten Behauptungen der USA und Großbritanniens über angebliche neue (seit 1998) entwickelte Massenvernichtungswaffen oder entsprechende laufende Rüstungsprogramme haben die Inspektoren überprüft und nicht bestätigen können. Bagdad hat bislang offene Fragen nach vermuteten Altbeständen an Waffen sowie biologischen und chemischen Grundstoffen aus der Zeit vor Dezember 1998 nicht befriedigend beantwortet. Gefunden haben die Inspektoren insgesamt 15 vom Irak nicht zerstörte, leere Artilleriegeschosse, die mit chemischen Giftstoffen gefüllt werden können.

7. Warum stürzt die irakische Opposition Saddam Hussein nicht?

Die irakische Opposition ist tief gespalten. Der Irak ist ein multiethnisches Land, hier leben Araber, Kurden, Turkmenen und andere Minderheiten. Hinzu kommen religiöse Spannungen, vor allem zwischen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit und den politisch dominanten Sunniten. Die Folge: Es gibt keine allgemein akzeptierte Integrationfigur, die Saddam Hussein ablösen könnte – nicht zu vergleichen mit Afghanistan und der Nordallianz. Für die Schwächung der Opposition sorgt auch Saddam Hussein, der mit äußerster Brutalität gegen wirkliche oder vermeintliche Gegner und potenzielle Konkurrenten nebst deren Angehörigen im In- und Ausland vorgeht.

8. Hat der Irak das Recht auf UN-Beistand, wenn er ohne UN-Resolution von den USA angegriffen wird?

Die UN-Resolution 1441 enthält kein Mandat für einen Angriff auf den Irak. Greifen die USA und Großbritannien dennoch an, wäre dies ein nach der UN-Charta eindeutig verbotener, also völkerrechtswidriger Krieg. Irak hätte das Recht zur militärischen Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta. Und die Regierung könnte den UN-Sicherheitsrat um Hilfe anrufen. Der Rat könnte den militärischen Angriff der USA und Großbritanniens als Verstoß gegen die UN-Charta verurteilen, sie zur unverzüglichen, bedingungslosen Einstellung der Angriffe auffordern und zur Durchsetzung dieser Forderungen und Maßnahmen (Sanktionen) gegen die USA und Großbritanniens verhängen. Doch dieses Szenario ist rein theoretisch.

9. Was sind die Nachkriegspläne für den Irak?

Bush hat in Sachen Nachkriegsordnung noch kein klares Wort geäußert. Außenminister Powell dagegen sprach von der Gefahr einer „Balkanisierung des Irak“. Die USA werden sich demnach einer Beteiligung am „Nation Building“ nicht entziehen können. Heißt: Für die US-Streitkräfte wird es nach dem Krieg keinen schnellen Abschied geben. Schätzungen zufolge müssten zwischen 50.000 und 70.000 Soldaten über Jahre hinaus im Irak bleiben. Auch wenn das Verteidigungsministerium die Sprachregelung ausgibt, die eigenen Truppen „so lange wie nötig und so kurz wie möglich“ im Land lassen zu wollen. US-Regierungspläne beziehen sich laut New York Times auf den Umgang mit der derzeitigen Regierung: „Regierungselemente, die sehr eng mit Saddams Regierung identifiziert werden können, sowie die Revolutionären Gerichtshöfe oder der Sicherheitsdienst werden eliminiert, aber der größte sonstige Teil der Regierung wird reformiert und erhalten bleiben.“

10. Was kostet der Irakkrieg?

Wirtschaftsberater der amerikanischen Regierung schätzen: 100 bis 200 Milliarden Dollar – je nach Dauer. Der US-Kongress schätzt: monatlich 8 bis 9 Milliarden Dollar plus 20 Milliarden Dollar Auf- und Abmarschkosten. Der Golfkrieg 1991 hat 80 Milliarden Dollar gekostet.

11. Welche wirtschaftlichen Folgen hat der Irakkrieg?

100 bis 200 Milliarden Dollar – das ist natürlich nur der finanzielle Rahmen für die direkten Kriegskosten. Recht illustrativ berechnet William D. Nordhaus, US-Ökonom an der Yale University, vier mögliche Szenarien: Lösung ohne Krieg (inkl. Sturz Saddam Husseins) – der Ölpreis würde fallen, Aktien und Dollar legen zu. Ab 2004 wird von einer wirtschaftlichen Erholung ausgegangen – in der Eurozone 2,5 Prozent Wachstum. Ein kurzer, erfolgreicher Krieg (60 Tage) bedeutet zunächst wirtschaftliche Stagnation. Aktien- und Währungskurse bleiben unverändert, weil die Märkte bereits mit einem Waffengang rechnen. Nach Beendigung des Krieges (bei unbeschädigten Ölfeldern) beschleunigt sich die wirtschaftliche Erholung wie in Szenario 1. Ein langwieriger Krieg treibt nicht nur die direkten Kriegskosten in die Höhe (140 Milliarden Dollar plus 75 bis 500 Milliarden Dollar Besatzungskosten), sondern führt auch in die Rezession – in den USA und in Euroland. Ein Flächenbrand im Nahen Osten – brennende Ölfelder, Terroranschläge, Ausweitung des Krieges auf die Region – macht eine langwierige und schwere weltweite Rezession (Wachstumsrückgang von 2 Prozent und mehr) unvermeidbar. Der Ölpreis steigt auf 70 Dollar pro Barrel und sogar noch mehr. Die frühere Regel, wonach Kriege wirtschaftliche Aufschwünge auslösten, gelte schon lange nicht mehr, sagte Nordhaus der Zeit.

12. Muss ich noch schnell meine Aktien loswerden?

Gegenfrage: Wie war das im vergangenen Jahr mit Prognosen zu den Aktienmärkten? Eben. Was sich sagen lässt: Die Angst vor einem Irakkrieg schwächt längst den Dollar, drückt die Börsenkurse und erhöht den Preis für das Barrel Öl. Optimisten klammern sich an den Strohhalm, alles werde so kommen wie im Golfkrieg 1991, als die Börse in Erwartung eines schnellen Erfolgs der Alliierten mit starken Kursgewinnen auf den Kriegsausbruch reagierte. Pessimisten warnen, die aktuelle Lage sei nicht zu vergleichen mit der damaligen Operation „Wüstensturm“. Zu den Pessimisten gehört auch US-Notenbankchef Alan Greenspan, der zuletzt erstaunlich deutlich gesagt hatte, ein Krieg würde die kleine Hoffnung auf einen Konjunkturaufschwung und damit Kursaufschwung wieder sterben lassen. Einig sind sich die Experten dagegen über die Renaissance eines Edelmetalls: Gold. Dessen Preis erreichte just sein Sechs-Jahres-Hoch von über 363 Dollar die Feinunze.