EINE SPD IN DER OPPOSITION BRAUCHT EIN LINKES HERZ – DENKEN NICHT ALLE
: Lafontaine und das Reich der Mitte

Oskar Lafontaine, Lehrbeispiel für biografischen Abbruch und Neuanfang, für die Verabschiedung der Vorstellung, der Parteisoldat habe in den Stiefeln zu sterben – dieser postmoderne Sozialdemokrat wieder in Amt und Würden? So will es ein Teil der kränkelnden Parteilinken, die sich nach einer Führerpersönlichkeit sehnt. Allerdings nicht ohne erneute Lehrjahre an der Front. „Erst soll er das Saarland wiedererobern“, fordert Ludwig Stiegler, der um historische Vergleiche nie verlegene rot bewestete Parteirecke.

Die SPD-Linken begründen ihren Initiative mit der Vorstellung, Lafontaines Reaktivierung würde die Parteidiskussion beleben, der programmatischen Arbeit neue Flügel verleihen. Das Argument klingt gut. Es ist erstens demokratisch und zweitens gegen den Bundeskanzler als Fleischwerdung ideenlosen Durchwurschtelns gerichtet. Man könnte auch bescheidener, nämlich taktisch argumentieren. Falls der Niedergang der PDS sich als unaufhaltsam erweist, wäre es nützlich, den linken Flügel der SPD als integrierende Kraft zu stärken. Allerdings nur, wenn sein Einfluss auf die Regierungspolitik bei plus/minus null verharrt.

Warum reagiert die Parteiführung dann so unwirsch, um nicht zu sagen hysterisch auf den Vorstoß der Linken? Bei dem Ausruf des Generalsekretärs Olaf Scholz „Niemand wartet auf Oskar Lafontaine“ fühlen wir uns förmlich an des kommunistischen Parteisoldaten Erich Honeckers Wort vom Sommer 1989 erinnert. Der rief den Republikflüchtigen zu: „Niemand weint euch eine Träne nach!“ Auch Franz Münteferings barsches „Wenn er uns helfen will, soll er schweigen“ zeigt den Fraktionsvorsitzenden nicht auf der Höhe politischen Kalküls. Schmerzt die Wunde, die der Treulose der Partei zufügte, noch zu sehr, ist demnach alles eine Frage der Ehre, der Selbstachtung?

Keineswegs. Es geht um die Abwägung von Risiken. Um den Entscheid, ob durch Lafontaines Wiederaufstieg nicht in Schröders Reich der Mitte mehr verloren geht als unter den Linken, auf Seiten der Globalisierungskritiker zumal, gewonnen würde. Letztere glaubt man – durch das Nein zum Irakkrieg – sowieso im Sack zu haben. Sie bilden das Reservoir der zähneknirschenden „Das-kleinere-Übel-Wähler“.

Lafontaines Stunde hat noch nicht geschlagen. Sie wird erst nach der nächsten Bundestagswahl kommen. Dann darf die SPD in der Opposition wieder ihr linkes Herz entdecken, dann dürfen die Multis angeklagt, darf wieder nach Kontrolle der globalen Finanzströme gerufen werden. Bis zum nächsten Regierungsantritt. CHRISTIAN SEMLER