Etwas Festeres muss her

Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Zentralrat wird vertraglich gesichert. Doch die Freude ist nicht ungetrübt

von PHILIPP GESSLER

War am Ende die Pingeligkeit des Bundesrechnungshofs für den „historischen Tag“ verantwortlich? Die obersten Kassenprüfer der Republik, so jedenfalls räumte es Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im November vergangenen Jahres ein, bemängelten seit längerem, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland Geld vom Bund erhalte, ohne dass es dafür eine eindeutige rechtliche Grundlage gebe: Etwas Festeres, ein Vertrag müsse her – und auch deshalb konnte sich der Zentralratspräsident Paul Spiegel gestern, wie schon damals, über „Historisches“ freuen: Der erste Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat wurde im Kanzleramt unterschrieben.

Schröder lobte das gerade mal dreiseitige Vertragswerk als ein „bedeutendes Zeichen des Vertrauens in unsere Demokratie“. „Das ist nicht nur ein Vertrauensbeweis, sondern ein Ausdruck der Hoffnung“, sagte der Zentralratspräsident. Mehr als 50 Jahre nach Gründung der politischen Vertretung von rund 100.000 Jüdinnen und Juden in Deutschland erhält der Zentralrat von Bundesseite nun Geld nicht nur als freiwillige Leistung wie bisher. Und mehr wird es auch: drei Millionen Euro jährlich – vorher war es gerade mal eine Million pro Jahr.

Ein Sieg des Zentralrates?

Das Geld ist nötig. Denn es soll vor allem der Integration der russischsprachigen Juden zugute kommen, die seit 15 Jahren nach Deutschland gezogen sind. Durch sie vervierfachte sich die Zahl der Mitglieder jüdischer Gemeinden – eine immense Integrationsaufgabe, die die 83 Gemeinden praktisch allein zu schultern hatten. Viele jüdische Immigranten kämpfen noch mit dem Neubeginn in Deutschland, haben keine Arbeit und zahlen deshalb auch keine oder nur wenig Gemeindesteuern (vergleichbar der Kirchensteuer auf christlicher Seite). Wegen der Kultushoheit der Länder gab es finanzielle Hilfe bisher vor allem von Länderseite, die mit den einzelnen jüdischen Landesverbänden Verträge abgeschlossen hatten.

Doch die Freude ist nicht ungetrübt auf jüdischer Seite. Ganz abgesehen davon, dass sich der Zentralrat laut Vertrag dazu verpflichtete, „keine weiteren finanziellen Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland“ heranzutragen. Vor allem die Union progressiver Juden in Deutschland e. V. tut sich schwer mit der Vereinbarung: Der Verband vereint Jüdinnen und Juden, die in ihren Frömmigkeitsformen reformorientierter sind als die überwiegende Mehrheit der so genannten Einheitsgemeinden im Zentralrat. So befürwortet die „Union“ beispielsweise die Weihe von Rabbinerinnen und die volle Teilnahme von Frauen an den Gebeten in den Synagogen – fast alle Rabbiner der meist orthodox geprägten Einheitsgemeinden halten davon wenig oder gar nichts.

Die Union progressiver Juden aber war nicht bei den Verhandlungen zwischen Zentralrat und Bundesregierung vertreten. Und das, obwohl der Liberalen-Verband seit November immer wieder forderte, den Staatsvertrag nicht abzuschließen, solange er nicht gehört worden sei. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sagte schon damals nur, man bemühe sich seit längerem um die Integration der „Union“ in den Zentralrat. Nun steht im Staatsvertrag nur, der Zentralrat sei „nach seinem Selbstverständnis für alle Richtungen innerhalb des Judentums offen“. Eine Niederlage für die „Union“, was sonst.

Doch ist es, um im Bild zu bleiben, auch ein Sieg des Zentralrates? Die bestimmende Stimme des Judentums in Deutschland tut sich nach wie vor schwer, ihre Rolle zu finden – und der Streit mit der „Union“ ist dafür nur ein Beispiel: Obwohl der Zentralrat betont, nur eine politische Vertretung der Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik zu sein, bezweifelt Spiegel öffentlich, ob alle Mitglieder der liberalen Gemeinden auch den religiösen Gesetzen nach als jüdisch zu betrachten seien – was eine religiöse Frage ist, keine politische.

Kritik an der Bundesregierung

Ähnlich schwer tut sich der Zentralrat aber auch in politischen Fragen: Einerseits unterstreichen Zentralratsmitglieder immer wieder, dass man die Jüdinnen und Juden in Deutschland vertrete und zu Israel direkt nichts zu sagen habe. Andererseits sind von Mitgliedern des Zentralrats in Bezug auf Israel immer wieder tagespolitische Forderungen zu hören – und Paul Spiegel hält sich da keineswegs zurück: So sprach er sich nach seiner Wiederwahl Anfang Dezember für die Lieferung deutscher Panzer an Israel aus. Am Wochenende kritisierte er die Israelberichterstattung deutscher Medien sowie die Bundesregierung wegen ihres ablehnenden Votums zum Irakkrieg: „Man kann nicht a priori gegen einen Krieg sein“, sagte er auf einer Holocaust-Gedenkveranstaltung.

Natürlich ist für Jüdinnen und Juden in aller Welt Israel kein Staat wie jeder andere: Einerseits werden sie außerhalb Israels sehr leicht für die Taten der israelischen Regierung verantwortlich gemacht, andererseits betrifft die Bedrohung des Nahoststaates auch die potenzielle Fluchtburg bei möglicher Verfolgung der jüdischen Gemeinschaft überall auf der Welt – ganz abgesehen davon, dass viele Jüdinnen und Juden Freunde und Verwandte im gelobten Land haben, die täglich einem Selbstmordanschlag zum Opfer fallen können.

Dennoch: Der gestern unterschriebene Staatsvertrag ist für viele Jüdinnen und Juden in Deutschland ein Zeichen, dass man nun nicht mehr auf gepackten Koffern sitzen müsse, wie eine häufig benutzte Redensart sagt. Und vielleicht gibt das ja Sicherheit genug, die eigene Identität zu klären.