Salam alaikum in Porto Alegre

„Der Bauer“, sagt Habashi, „soll kapieren, warum er statt Weizen für wenig Geld Tomaten anbaut“

aus Porto Alegre KATHARINA KOUFEN

Es wuselt. Alle wuseln irgendwohin, Treppe rauf, Treppe runter, Aufzug rein, Aufzug raus. Nur einer sitzt auf den Stufen in Gebäude drei. Stützt das Kinn auf die geballte Faust, kratzt sich mit der anderen Hand die grau melierten kurzen Locken und zieht missmutig die Augenbrauen zusammen, so dass sich die Furche über seiner Nase vertieft. „Der Workshop, zu dem ich hinwollte, ist ausgefallen“, sagt Mamdouh Habashi. „Dabei bin ich ungefähr zwei Stunden durch sämtliche Gebäude dieser Uni gelaufen, bis ich den richtigen Raum gefunden habe.“

So, wie man sich den typischen Globalisierungskritiker vorstellt, also jung, links, studierend und mit wenig Geld in der Tasche, sieht Habashi überhaupt nicht aus. Er ist 51 Jahre alt, Bauunternehmer, trägt eine schicke Uhr mit dem Schriftzug der eigenen Firma und einen Ehering. Und: Seine Muttersprache ist weder Englisch, noch Spanisch, Brasilianisch, Französisch oder Deutsch, wie es bei dem ganz großen Teil der Teilnehmer am Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre der Fall ist. Seine Muttersprache ist Arabisch.

Wenn ein Ägypter wie Mamdouh Habashi nun extra nach Brasilien kommt, dann möchte er mit dem Gefühl nach Hause fliegen: Das hat sich gelohnt. „Dieses Gefühl werde ich dann haben, wenn ich sagen kann: Ich habe neue Kontakte geknüpft und ich habe meine Organisation vorgestellt.“ Dafür braucht Habashi mindestens ein verlässliches Programm.

Weil es das offensichtlich nicht gibt, beschließt der Ägypter, sein „Networking“ auf eigene Faust zu betreiben. Er erhebt sich von der Treppe und macht sich auf der Suche nach anderen Arabern. In Gebäude 50 soll eine Diskussion mit Nawal El Saadawi stattfinden, Ägyptens berühmtester Schriftstellerin. Und im Stadion „Gigantinho“ spricht gleichzeitig Sherif Hetata über Fundamentalismus. Er ist Nawal El Saadawis Mann.

Beide kennen Habashi, und die ägyptische Zuhörerin in der ersten Reihe kennt alle drei, aber das ist nichts Besonderes, wie sich im Laufe des Tages herausstellt: Alle anwesenden Ägypter kennen sich, sind befreundet oder verwandt. Was nicht weiter erstaunt: Ägyptens Globalisierungskritiker sind ein überschaubarer Haufen.

Das will Habashi ändern. Er trommelt sämtliche Ägypter zusammen, mehr als ein Dutzend sind es nicht. Wenn er seine Landsleute auf Arabisch anspricht, kommt es vor, dass sich ein Brasilianer oder eine Uruguayerin nach ihm umdreht und fragt: Wo kommst du her? Und auf die Antwort „aus Äypten“ mit einem überraschten „Wow!“ antwortet. Am Nachmittag wollen sich die arabischen Delgierten treffen, „kommt alle dahin“, bittet Habashi. Die 71-jährige Schriftstellerin Nawal El Saadawi zieht er am Arm hinter sich her, weil sie nach ihrem Vortrag immer wieder um ein Foto gebeten wird oder ein Buch signieren soll und stehen bleibt.

Dann endlich darf Habashi reden. Erzählen, was er meint, wenn er „meine Organisation“ sagt. Ageg heißt sie und ist Ägyptens erstes globailisierungskritisches Netzwerk. Ageg steht für Anti Globalization Egyptian Group. „Ageg“ heißt auf Arabisch aber auch „Feuerknistern“. Habashi grinst. „Es beginnt jetzt auch in Ägypten zu knistern. Wir wehren uns gegen die neoliberale Globalisierung.“ Er sagt es auf Englisch, eine Dolmetscherin übersetzt ins Spanische, für eine Gruppe Argentinier, die in einer Ecke Platz genommen haben.

Außer den Argentiniern sitzen im Seminarraum etwa 20 Männer und zehn Frauen auf weißen Plastikstühlen. Die meisten sind Palästinenser, und wer nicht Palästinenser ist, hat sich zumindest ein schwarz-weißes Palästinensertuch über das Sommerhemd oder Poloshirt geworfen. Einige tragen einen schwarz-weißen Schal mit roten und grünen Fransen – den Farben Palästinas. Aber ausnahmsweise dominiert nicht der Nahostkonflikt die Diskussion, es geht um die „Zukunft der sozialen Bewegung in den arabischen Ländern“, wie es ein Zettel an der Tür ankündigt.

Das Wort Bewegung ist, das wird aus den Berichten der Syrier, Libanesen, Marokkaner, Palästinenser und Ägypter klar, im Zusammenhang mit den arabischen Ländern eine Beschönigung. „Von Bewegung kann man bei uns gar nicht sprechen. Über Globalisierungskritik denken nur ein paar Intellektuelle nach“, berichtet Habashi. Warum das so ist, will eine französische Journalistin wissen. „Bei uns sind Nichtregierungsorganisationen reine Wohltätigkeitsvereine, mehr nicht“, meint Nihad Gohar, eine Studentin aus Kairo. Habashi nennt einen anderen Grund: „Unsere Gesellschaften sind nicht frei.“

Für die arabischen Teilnehmer hat Porto Alegre deshalb noch eine andere Bedeutung: „Ein Gefühl von Freiheit.“ Habashis Mitstreiter Alaa Shoukrallah, ein Frauenarzt aus Kairo, sagt: „In Ägypten bist du schon verdächtig, wenn du dich mit ein paar Leuten zum freien Gedankenaustausch triffst.“ Er rechnet fest damit, dass er und die anderen Ägypter bei der Rückkehr Probleme bekommen. Keine Einreise ohne Durchsuchung, „meistens dauert es mindestens eine Stunde, bis die mein Gepäck gecheckt haben“. Keine Passkontrolle, ohne dass der Computer des Beamten rot leutet: „Wir stehen auf der Wanted-Liste der Regierung.“ Das heißt: Nicht nur jede Reise wird registriert, sondern auch jedes Telefongespräch, jede Versammlung.

„Soziale Bewegung“ ist im Zusammenhang mit den arabischen Ländern eine Beschönigung

„Im Moment werden wir geduldet“, meint Habashi. „Aber die Regierung kann uns jederzeit ins Gefängnis stecken.“ Habashi weiß, was das bedeutet. Seine Eltern saßen mehrmals im Gefängnis, weil sie Kommunisten waren.

Seit einem halben Jahr gibt es in Ägypten ein Gesetz, dass Nichtregierungsorganisationen sich beim Sozialministerium anmelden müssen. Ageg hat das bisher nicht getan. „Uns gibt es ja erst seit ein paar Monaten, wir haben jetzt erst im Februar unsere erste Versammlung mit allen Mitgliedern.“ Immerhin „einige hundert“ seien es. Habashi hat seine Organisation absichtlich nicht Attac genannt, um die „Stasi“, wie er die Regierungsspitzel nennt, nicht misstrauisch zu machen. „Attac kennt man schon zu sehr.“

Die Regierung, sagt Habashi, passt auch darauf auf, dass die Globalisierungskritik nicht aus dem kleinen intellektuellen Kreis in Kairo heraus- und in die Köpfe der breiten Bevölkerung hineindringt. „Sie will immer alles steuern, kontrollieren.“ Mit Schaudern erinnern sich Habashi und Alaa Shoukrallah an die Studentenbewegung Anfang der 70er-Jahre. Habashi hatte in Kairo demonstriert und kam, wie viele andere, für kurze Zeit ins Gefängnis.

Ageg möchte genau das erreichen, was die Regierung Mubarak auf jeden Fall verhindern will. „Der kleine Bauer auf dem Land soll kapieren, was die Globalisierung damit zu tun hat, dass er keinen Weizen mehr anbaut, sondern für wenig Geld Tomaten erntet, die anschließend nach Europa exportiert werden. Oder dass es eine Auflage des Internationalen Währungsfonds ist, wenn die Regierung ein neues, total arbeitgeberfreundliches Arbeitsgesetz einführt.“

Ein bisschen neidisch schaut Habashi auf das Gewusel auf den Wegen und Rasenflächen zwischen den Unigebäuden. Die Palästinenserdemo ist ausgefallen, warum weiß er nicht genau. Die Brasilianer führen hier vor, wie bunt Zivilgesellschaft aussehen kann. Anhänger der Arbeiterpartei verkaufen Sticker und T-Shirts, ein paar konvertierte brasilianische Islamistikstudenten grüßen die Vorbeigehenden mit „Salam alaikum“. „Ich fühle mich wohl hier, das ist wie Hoffnung tanken“, sagt Habashi. „Aber manchmal schaudert mich auch, wenn ich daran denke, welche Kluft zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit liegt.“