Weiber wuchten im Hirnhaus hoch oben

27. Literarische Woche: Katharina Höcker liest schräge Gedichte zur schrägen Musik von Christoph Ogiermann. Und drumherum: Die Installation „sendungen 1-90“

„Dein Schuh in die Schädel der Bäume gespießt. Zein und Seit“ Ein höllischesBegleitquietschen treibt die Armhaare in die Senkrechte

Musiker Christoph Ogiermann schleicht auf Socken in die sich kreuzenden Lichtkegel zweier Scheinwerfer. Heftige Griffwechsel auf den Saiten seiner Violine, doch er entlockt ihr keinen klaren Ton, nur ein Hauchen. Er reißt den Mund auf, Laute sprudeln aus seinem Rachen und dann schleicht er so leise davon, wie er gekommen ist. Ogiermann liefert an diesem Dienstagabend die Musik zum gelesenen Wort.

Poetin Katharina Höcker trägt Schuhe mit quietschenden Gummisohlen. Eine burschikose Frau, die nun anfängt, aus ihrem aktuellen Gedichtband „nacht für nichts“ zu lesen. Um die 42-Jährige Hamburgerin herum in den kargen Räumen des Neuen Museum Weserburg: die Installation „sendungen 1-90“, bestehend aus Postkarten mit Textfragmenten. Höcker schreibt nicht nur, sie arbeitet auch als bildende Künstlerin. Und passt damit bestens zur 27. Literarischen Woche und deren Thema: „Zwischen Bildern und Texten“.

„Im Flattersatz zweier Zeiten hissen Irre den Februarmorgen“ presst sie hervor, blättert in ihrem Buch und hebt den Kopf: „Dein Schuh in die Schädel der Bäume gespießt. Zein und Seit.“ Als würde sie nur Fragmente ihrer Texte vortragen oder Sprechübungen machen.

Ganz falsch ist dieser Eindruck nicht, Höckers Gedichte sind keine Oden an den Frühling, sondern kleine Klangkunstwerke. Im monotonen Singsang präsentiert sie ihre Werke, die dem Ohr zwar schmeicheln, denen das Hirn jedoch inhaltlich kaum folgen kann. Aber das will Höcker auch gar nicht. Wichtig ist ihr die Melodie ihrer Wortreihungen. „Ein Wort ist eine so amorphe Sache, dass es mir nicht geheuer ist“, sagt sie. „Jedes hat einen eigenen Klang und es gibt so viele Assoziationen.“

Man hatte ihr mit Christoph Ogiermann einen experimentellen Instrumentalisten an die Seite gestellt, der rhythmisch mit ihren Gedichten konform läuft und sich mit seinen Klangkreationen weit aus dem Fenster lehnt – zu weit. Nur einmal tritt er persönlich vor das Publikum, den Rest der Lesung begnügt er sich damit, am Trommelfell zerrende Atonalitäten durch die Lautsprecher zu schicken: Geräusche, als schleife jemand eine Metallkiste schubweise über grobkörnigen Asphalt. Ein höllisches Begleitquietschen treibt die Armhaare unangenehm in die Senkrechte. Da lechzt das Ohr wieder nach „Schlick schlürfenden Fingern der Siele“ und nach toten Idioten, die „im Hirnhaus hoch oben“ schon wieder Weiber wuchten. Katharina Höcker jongliert mit Alliterationen, Reimen und Wortmüll als seien es Musikinstrumente. Lange Momente der vollkommenen Stille steigern die wohlig einlullende Wirkung. „Götterhämmerung.“

Bevor sie ihr Studium abschloss, knüpfte sie Kontakte zu einem Verlag und stand vor der Entscheidung: Magisterarbeit oder das erste Buch. Sie entschied sich für das Buch. „Die Arbeit ist ziemlich anstrengend und oft frustrierend“, gibt sie zu. „Ich habe jedes Mal eine genaue Vorstellung, was es werden soll, doch ich verfehle oft mein Ziel. Manchmal denke ich: ‘Das isses jetzt‘ und wenn ich hinsehe, stehen da nur drei Wörter.“

Susanne Polig

Katharina Höckers Installation „sendungen 1-90“ ist noch bis zum 10. Februar im Neuen Museum Weserburg zu sehen. Öffnungszeiten: Di bis Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr