Koalition im Ausnahmezustand

Die Regierungsbildung wird nicht einfach – doch bei einem Krieg gegen Irak, so hofft Scharon, würde die Arbeitspartei wohl wieder ins Kabinett kommen

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Die gute Nachricht: Der Anteil der orthodoxen Parteien in der Knesset schrumpft von bisher 27 Mandaten auf künftig nur noch 16 Sitze. Die schlechte: Sie werden Teil der Regierung sein. Und noch eine unerfreuliche Nachricht: Das linke Lager, das um Lösungen für den Konflikt mit den Palästinensern ringt, ist bei den Parlamentswahlen eingebrochen. Die zu erwartende Koalition steht weit rechts von allem bisher Dagewesenen. Ist der überragende Gewinner Ariel Scharon deshalb ein glücklicher Mensch? Kaum.

Einen „Pyrrhussieg“ nennt der Analyst der Tageszeitung Ha’aretz, Joel Markus, zutreffend den Erfolg Scharons. Zweifellos wäre es ein Leichtes für den Premierminister, angesichts der Verteilung der Knessetsitze eine stabile rechts-national-religiöse Koalition zu errichten. Mit Leuten wie Avigdor Liebermann im Kabinett, dem Chef der Nationalen Union, der lieber heute als morgen ein Exekutionskommando nach Ramallah schicken würde, um das Problem Jassir Arafat ein für alle Mal zu beseitigen, wäre der Friedensprozess bis auf weiteres eingefroren. Liebermann akzeptiert weder einen Palästinenserstaat noch die jüngste US-amerikanische „Roadmap“ zu einem Nahost-Frieden – beidem hatte Scharon unter Einschränkungen bereits zugestimmt – und würde so Finanzhilfen aus Washington an das von Wirtschaftskrisen gerüttelte Israel gefährden.

Der „große Wahlsieger“ hat ab heute, wenn die endgültigen Ergebnisse bekannt gegeben werden, 28 Tage Zeit, eine regierungsfähige Koalition zusammenzustellen. Gelingt ihm das nicht, kann er beim Präsidenten weitere 14 Tage beantragen. Scharon wird diese Frist ausschöpfen, in der Hoffnung, dass im Zuge eines Krieges gegen den Irak das Land in einen politischen Ausnahmezustand gerät, der wiederum die bislang hartnäckig gegen ein Zusammengehen mit ihm eingestellte Arbeitspartei doch noch umstimmt. Selbst Tommi Lapid, Chef der antireligiösen Schinui-Partei und ärgster Gegner der orientalisch-orthodoxen Partei Schas, stellte eine gemeinsame Koalition mit der Schas in Aussicht, sollten „Raketen auf Israel abgefeuert werden“.

Nach dreimonatigem Wahlkampf, klaren politischen Zugeständnissen an die Arbeitspartei und einem „worst case scenario“ für Israels Sicherheit wäre Scharon vielleicht in der Lage, eine Koalition zu errichten, die er in ähnlicher Form bis zum vergangenen Oktober bereits unter sich hatte.

„Unter keinen Umständen“, so erklärte Amram Mitzna, Chef der Arbeitspartei, auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes, werde die Arbeitspartei einer Regierung unter Scharon beitreten. Dass er damit keine Stimmen gewinnen würde, musste ihm klar sein, denn Umfragen haben wiederholt gezeigt, dass weit über 60 Prozent der Bevölkerung eine große Koalition wollen. Mitznas Wähler wussten, dass sie ihre Stimme der Opposition geben. Allein um nicht noch die letzten Anhänger zu verprellen, darf ein Widerruf nun gar nicht erst erwogen werden.

Auch wenn Scharon in privaten Kreise gesagt haben soll, dass es „eine Rechtsregierung nicht geben wird“, so ist derzeit doch die Konstellation wahrscheinlich, die er sich am wenigsten wünscht: Likud, Schas, Nationale Union, National-Religiöse, Ultraorthodoxe und die Immigrantenpartei von Nathan Scharansky Israeli Be’Alija könnten mit insgesamt 67 der 120 Knessetsitze eine durchaus überlebensfähige Koalition bilden – allerdings eine, die nicht den Schimmer einer Hoffnung auf Verbesserung der katastophalen Zustände birgt.

Wichtiger Ansprechpartner für Scharon ist Tommi Lapid, der mit 15 Mandaten die Knessetrepräsentanz der Schinui mehr als verdoppeln konnte. Sein Erfolg ist allein dem Kampf gegen die „religiösen Ausbeuter“ zuzuschreiben. Mit Kompromissen an die Orthodoxen würde er der Partei die „Raison d’être“ rauben.

Neben Lapid werden auch die geschröpften linken Parteien in die Opposition gehen: die Arbeitspartei (19 Sitze) und das linke Bündnis Meretz (6). Die beiden großen Verlierer müssen sich zusammenraufen und die bevorstehende Regierungsperiode nutzen, um bei der nächsten Gelegenheit dem Wähler eine glaubwürdige Alternative zu Scharon bieten zu können.

Zunächst stehen in beiden Parteien interne Auseinandersetzungen an. Bei der Meretz ist ein Führungswechsel nahezu sicher: Jossi Sarid, der der Partei seit 1994 vorstand, gab unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen seinen Rücktritt bekannt. Mitzna, der die Führung der Arbeitspartei erst vor wenigen Wochen übernahm, hat eine Schonfrist. Parteiinterne Wahlen stehen nicht vor Anfang 2004 an.