Trauriger Totmacher in Hamburg

Peter Lorres einzige Regiearbeit straft Selbstentschuldungen durch die Rede von einer „Stunde Null“ Lügen: Der 1951 nach seiner Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil gedrehte Film „Der Verlorene“ läuft am Montag im Metropolis

Es gibt kein Vergessen. Diese Erkenntnis formuliert Peter Lorres Der Verlorene immer wieder. Schon im Vorspann der Produktion aus dem Jahr 1951 heißt es: „Dieser Film ist nicht frei erfunden.“ Im Hinblick auf seine Thematik kommt das einer mehrdeutigen Warnung an das potenzielle Publikum gleich. Denn Lorre skizziert in seiner einzigen Regiearbeit eine deutsche Biographie, die – daran lässt der Film keinen Zweifel – exemplarisch verstanden werden soll. Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen ethische Depravation zunächst durch den Nationalsozialismus bedingt und sanktioniert wird, und der sich dann als ungestrafter Mörder im vermeintlich neuen Deutschland der Nachkriegszeit mit äußerst realen Dämonen seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss.

Peter Lorre selbst übernahm die Rolle des Dr. Karl Rothe, der zu Beginn des Films unter falschem Namen ein Flüchtlingslager in der Nähe von Hamburg betreut. Der Krieg ist vorbei, doch eines Tages taucht sein ehemaliger wissenschaftlicher Assistent Hoesch (Karl John) im Lager auf. Hoesch war früher Verbindungsmann der Gestapo in Rothes Forschungsinstitut.

Bei einem gespenstischen Gelage in der Barracke rekapituliert Rothe ihr gemeinsames Geheimnis: Damals hatte Hoesch die Verlobte Rothes der Untreue und Feindspionage bezichtigt. Als der labile Rothe daraufhin die junge Frau im Affekt tötet, wird er gegen seinen Willen von Hoesch und den Behörden gedeckt: Rothes Arbeit gilt als „kriegswichtig“. Doch der psychisch kranke Mediziner hat längst die Kontrolle verloren, und streift fortan als trauriger Totmacher durch die Hamburger Bombennächte.

Der hilflose Mörder als moralischer Gradmesser für eine inhumane Gesellschaft: Was Fritz Lang bereits in M (1930/31) angelegt hatte, spitzt sein damaliger Hauptdarsteller Peter Lorre hier in beeindruckender Konsequenz zu. Der Verlorene ist aber auch die allegorische Nachzeichnung jenes tatsächlich exklusiv „Deutschen Weges“, den 1951 niemand kennen wollte, obwohl doch die meisten Neu-Bundesrepublikaner auf ihm gewandelt waren: Der stumme Konsens der Mehrheit erlaubte es ihnen, trotz ungesühnter Schuld im Gepäck schadlos heimzukehren. Aus dem Exil zurückgekehrt, straft Lorre die widerwärtigen Selbstentschuldungen durch die Rede von einer „Stunde Null“ Lügen, indem er die personellen und ideologischen Kontinuitäten nach der Kapitulation aufzeigt. David Kleingers

Montag, 3.2., 17 Uhr, Metropolis