Club der schlaffen Väter

Paul ist tot, und der rheinische Künstler findet Funken in der Spree: In der Volksbühne stellten sich die Fehlfarben der generellen Sympathie von konzentriert-konsternierten Vierzigjährigen

von ANDREAS MERKEL

Um halb zwölf gab es die finale Demütigung. Vor der ersten Zugabe bittet Fehlfarben-Gitarrist Thomas Schwebel das Publikum in der ausverkauften Volksbühne um Standing Ovations: Die würde es doch heute für jeden Showdeppen aus dem Fernsehen geben, also bitte.

Der ganze Abend zuvor war geprägt von dieser nervösen Anteilnahme und gespannt-verspannten Erwartung auf beiden Seiten. Was würde diese Band, die sich in ihrer langen kurzen Geschichte von Beginn an ebenso klug wie kapriziös rar gemacht hat und nun mit „Knietief im Dispo“ ganz einfach das beste deutsche Album des letzten Jahres vorgelegt hat, was würde diese Band einem darüber hinaus noch live zu bieten haben?

Vom Tourauftakt in Hamburg hatte man Schlimmes gehört, miserabler Sound, Texter und Sänger Peter Hein indisponiert, bekommt von Altpunks aus dem Publikum Bier an den Kopf („Welches Arschloch war das?“) und Abgang! – Denkbar unspektakulär traten dagegen die sieben Musiker in Berlin auf die Bühne. Der erste Song ist ein gleich ein Gedicht: „Das Leben zum Buch“, vom Blatt abgelesen, dazu wehen passend ein paar Gitarrenriffs aus „The End“ von den Doors herüber. Im Hintergrund Diaprojektionen von trostlosen Fußgängerzonen. Schon tot?

Peter Hein („Ich bin ein rheinischer Künstler!“) trägt schwarze Lackschuhe zum Anzug und stakst mit tief zwischen die Schultern gezogenem Kopf so exaltiert wie ein verwirrter Professor über die Bühne. Während der Rest der Band den nüchternen Charme von in die Jahre gekommenen Helden des Proberaums versprüht, wirkt Hein so unsicher und linkisch wie ein Teenager, der sich immer wieder die strubbeligen Haare aus dem Gesicht heraus- und ins Gesicht zurückstreicht.

Im Publikum dazu die konzentriert-konsternierten Blicke im Publikum von Vierzigjährigen. Tauschen möchte niemand mit ihm und sich da vorn ins Rampenlicht verirren, Mitleiden und generelle Sympathie sind angesagt. Korrumpieren lässt man sich davon aber nicht: Der Applaus bleibt spärlich und fair.

Für alles andere ist das Dargebotene allerdings auch zu enttäuschend. Der Sound ist schlecht abgemischt, und die Band wirkt vor allem bei den anspruchsvollen Arrangements der neuen Songs insgesamt noch nicht eingespielt. Peter Hein, der seinen Texten die Melancholie sonst mit so energischer Intonation austreibt, dass – wie Oliver Fuchs in der Süddeutschen schrieb – „Deutsch wie eine Fremdsprache klingt“, dieser Peter Hein singt gerade die großen Hits „Die kleine Geldwäscherei“ und „Club der schönen Mütter“ mit schlaffer Zurückgenommenheit. Zwischendurch erzählt er gern, wer jetzt wann den nächsten Song geschrieben habe und wie der überhaupt heiße. „Rhein in Flammen“, also in Berlin „something like Spree in Funken“, versucht Percussionist Frank Fenstermacher dazwischenzuwitzeln. Einzig bei den alten, wie von selbst marschierenden Gassenhauern von „Monarchie und Alltag“ finden Peter Hein, Band und Publikum letztlich doch noch ein wenig zu sich selbst.

„Grauschleier“, „Das sind Geschichten“ und – einziger wirklicher Höhepunkt am Konzertende – „Paul ist tot“.

Das Publikum, na also, erhebt sich von der harten Theaterbestuhlung, als Zugabe wird noch mal der Nostalgiker „Das war vor Jahren“ verhauen, und dann nichts wie raus hier.