Übung beendet, Patient tot

In Israels größter Klinik übt das Personal den Einsatz nach einem Chemiewaffen-Angriff

TEL AVIV taz ■ Fünf Patienten, davon zwei in Krankenhauskleidung, stürmen in das Behandlungszimmer. „Doktor, ich kann nichts sehen“, ruft einer und berichtet von einer Explosion „direkt unter dem Balkon“. Eine junge Frau zerrt hysterisch am Kittel eines Arztes, eine zweite sitzt hustend auf einem Stuhl und klagt über Bauschmerzen, während ein schwitzender älterer Mann mit Schaum vor dem Mund in Ohnmacht fällt.

Die Hektik in Israels größtem Krankenhaus Scheeba – Tel Hashomer ist gespielt. 50 Ärzte, Schwestern und Sanitäter üben den Ernstfall eines Angriffs mit atomaren, chemischen und biologischen Kampfstoffen. „Wir wissen nicht, was wir zu erwarten haben“, meint Krankenhausdirektor Seew Rotstein, „aber wir wollen auf alles vorbereitet sein.“ Schon an „der Körpersprache von Saddam Hussein“ sei erkennbar, dass „Israel mit dem Schlimmsten rechnen muss“.

Unter dem wachsamen Auge ihrer Ausbilder behandeln die Mediziner die leicht Verletzten, die, im Fall eines Angriffs, nach Vermutung der Ärzte knapp die Hälfte der zu betreuenden Fälle ausmachen werden. Ein Mann mit schwerem Erstickungsanfall, der zittert und versucht, sich zu erbrechen, wird auf einer Bahre ins Nebenzimmer gefahren. Im Nachbarbett liegt eine Plastikpuppe mit abgerissenem Bein. Von draußen dringt das Geheul von Sirenen, die das Kommen weiterer Ambulanzen mit noch mehr Verletzten ankündigen.

Eine Gruppe von Ärzten in ABC-Schutzanzügen und Gasmasken nimmt die bereits dekontaminierten Patienten in Empfang. „Es gibt Raum für Verbesserungen“, resümiert der Sanitäter Schai Solomon die Arbeit seiner „Schülerin“, einer Schwester aus dem Krankenhaus Rambam in Haifa. Während der computersimulierte Blutdruck ihres Plastikpuppen-Patienten stetig absank, prüfte sie noch die Listen der möglichen Medikation.

„Nur nicht in Haifa sein, wenn die Raketen kommen“, betet der Schauspieler Joram Halevi, der einen Schwerverletzten simuliert. „Das Team, das mich behandeln sollte, hat mich gleich zweimal sterben lassen.“ Sein Kollege Hillel Schimon spricht von einer „heiligen Arbeit“ der Schauspieler. „Jeden Fehler, den ein Arzt bei mir macht, wird er nicht wiederholen. Wer weiß, wie viele Menschenleben ich auf diese Weise schon gerettet habe.“

Angesichts der wenig vorbereiteten Mediziner verwundert die Eile des Premierministers Ariel Scharon, wenn er an die USA appelliert, den Militärschlag gegen Irak, „wenn überhaupt, dann schnell“ auszuführen. Insgesamt wurden in Tel Hashomer bislang 550 Mediziner für den Einsatz nach einem Angriff mit chemischen und biologischen Kampfstoffen trainiert. Sie hatten nur einen Tag für ihre Fortbildung, was kaum ausreicht, um alle Szenarien durchzuspielen. So gab es keinen einzigen Patienten bei der Übung, der erkennbar mit Pocken infiziert war.

SUSANNE KNAUL