Fünf Abweichler sind fünf zu viel
: Diplomatie im Tiefschlaf

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Glaubt man dem Säuseln der Diplomaten, dann ist Machtpolitik innerhalb Europas keine Kategorie mehr. Nicht gegeneinander politische Vorteile herauszuschinden gilt heute als Leitlinie der Staatskunst, sondern einen Konsens zum Wohle aller zu finden. Für die Arbeit in einem vereinten Europa mag das eine notwendige Illusion sein, doch selten in letzter Zeit wurde sie auf so deftige Weise widerlegt wie durch die Erklärung der acht.

Deutschland und Frankreich stehen politisch isoliert und öffentlich blamiert da. Die Unterzeichner haben sich dagegen als Donald Rumsfelds Filialleiter fürs neue und alte Europa beworben. Doch statt sich darüber zu erregen, übten Kanzleramt und Auswärtiges Amt gestern eine andere Tugend: Zähne zusammen- und Schmerz verbeißen.

Dabei verstößt das Manöver der acht gleich in dreierlei Weise gegen den Komment unter guten Freunden, wie auch deutsche Beamte einräumen: in Stil, Inhalt und Methode. Der Inhalt: Die Regierungschefs sprengen den Konsens der EU-Außenminister vom Montag, zumindest auf Distanz zur US-Haltung zu bleiben. Die Methode: Die Erklärung ist zustande gekommen in einem Akt der Geheimdiplomatie, bei dem die acht Europäer ihre deutschen und französischen Freunde bis zuletzt im Dunkeln ließen. Dadurch wird selbst aus der Wiederholung bekannter Positionen ein feindseliger Akt. Der Stil: Eine öffentliche Annonce, zumal in der von Diplomaten gemeinhin als plebejisch betrachteten Publikumspresse, macht die Blamage für die zwei Ausgeschlossenen perfekt.

In Berlin, wie gesagt, findet niemand so drastische Worte. Wer den Schaden hat, will für den Spott nicht selber sorgen. Zwar kommt es zu eiligen wie ausgiebigen Konsultationen zwischen Kanzler-, Auswärtigem und Bundespresseamt, doch am Ende steht lediglich eine Verlautbarung, die so gewunden nach dem Gummibärchen im Kuhfladen sucht, dass es peinlich ist: „Wir verstehen die Erklärung dahin gehend, dass sie die auch für die Bundesregierung wichtigen Punkte besonders hervorhebt.“ Im Übrigen sei es doch eine feine Sache, heißt es da sinngemäß weiter, dass die Europäer sich am letzten Montag auf eine gemeinsame Haltung verständigten (Pech nur, dass die seit gestern obsolet ist).

Vielleicht sollen die leisen Töne aus Berlin auch nicht nur der Völkerverständigung dienen. Gut möglich, dass eine Portion Schuldbewusstsein mitspielt. Dass die Erklärung in der bekannten Form ihren Weg in die Zeitungen fand, demonstriert schließlich nicht zuletzt ein eklatantes Versagen aller Dienste, die eine Regierung sich so hält: der geheimen wie weniger geheimen. Wozu sitzen hunderte deutsche Diplomaten in aller Welt, gehen zum Lunch und zum Dinner, zu Bällen und Empfängen, wenn am Ende offensichtlich niemand Wind bekommt von einer Front gegen das derzeit wichtigste außenpolitische Ziel der Bundesregierung?

Die Aufregung ist vergebens, die deutsche Diplomatie denkt nicht an Protestnoten. Wahrscheinlich ist das gut, vielleicht aber auch nur ein bisschen lau.

Spanien misstraut Berlin und Paris
aus Madrid REINER WANDLER

Zuerst hieß es: „Das war eine Initiative aller acht Länder.“ Am Tag des Besuchs von Tony Blair in Madrid war die spanische Regierung nicht bereit, die Frage nach der Urheberschaft des gemeinsamen Irak-Aufrufs zu beantworten. Und das, obwohl man selbst in Großbritannien vermutete, dass es sich hierbei um eine Initiative von Spaniens Premier Aznar handelt. Erst nach mehrfachem Nachhaken ließ sich dann Jesús Andreu, Generaldirektor beim Regierungssprecher, persönlich zu einer Erklärung herab: „Das war eine Initiative des Wall Street Journal. Die haben verschiedene europäische Regierungschefs angesprochen.“ Ende des Gesprächs.

Dass Aznar unter den Regierungschefs war, verwundert genauso wenig wie die Tatsache, dass er als treibende Kraft gesehen wurde: „Wir werden auch bei einem Alleingang der USA mit dabei sein“, hatte der Premier in den vergangenen Tagen immer wieder bekräftigt.

Aznar verfolgt diese Politik gegen einen Großteil der spanischen Bevölkerung. Nur 2 Prozent stimmten bei einer Umfrage einer Beteiligung an einem US-Alleingang zu.

Aznars US-freundliche Außenpolitik liegt ganz auf der traditionellen spanischen Linie, die von Diktator Franco über den ersten demokratisch gewählten Regierungschef, Zentrumsmann Adolfo Suárez, bis hin zu Aznars unmittelbarem Vorgänger, dem Sozialisten Felipe González, führt. Freilich wurde Madrid von Washington meist ignoriert. So war Aznar einer der Ersten, der größere Truppenkontingente für den Afghanistanfeldzug bereitstellen wollte. Vergeblich wartete er auf den Anruf von George Bush junior.

Anstatt die Kriegslüsternheit des Konservativen zu verurteilen, griff die sozialistische Opposition Aznar von einer ganz anderen Seite her an. Sein Vorgänger Felipe González, der habe tatsächlich gute Beziehungen zu Washington gepflegt. Während des Golfkriegs habe Bush senior einmal die Woche im Regierungspalast Moncloa angerufen.

Doch Aznar, Blair und auch Italiens Regierungschef Berlusconi dürften nicht nur transatlantische Überlegungen zur Veröffentlichung des Appells bewogen haben. Sie verfolgten in den letzten Wochen mit Argwohn das erneute Zusammenrücken von Berlin und Paris. Die drei sehen sich als Gegenachse.

Als der deutsch-französische Reformplan für die EU vorgelegt wurde, urteilten die Spanier freilich ganz pragmatisch. Eine EU-Doppelspitze kommt ihnen gelegen. Denn sie erhöht für Aznar die Aussichten auf einen Job bei der EU, wenn er im nächsten Jahr nicht wieder für das Amt des Regierungschefs antritt.

Bush spaltet auch Frankreich
aus Paris DOROTHEA HAHN

Dass Washington einen Spaltkeil zwischen die EuropäerInnen treiben könnte, haben Pariser PolitikerInnen schon seit langem befürchtet. Als gestern dann der Brief der acht europäischen Staats- und Regierungschefs erschien, die sich in der Frage von Krieg und Frieden hinter die USA stellen, reagierte der Élysée-Palast lediglich mit einer trotzigen Erklärung: „Keine Überraschung.“ Weite Strecken des Textes habe Frankreich mit unterzeichnen können.

Außerhalb des Élysée-Palasts dagegen gab man sich in Paris weniger Mühe, den Graben, der Europa nun in der Irakfrage teilt, zu minimieren. „Schrecklich für Europa“, nannte der grüne Spitzenpolitiker Alain Lipietz die Initiative der acht: „Zum ersten Mal seit der Gründung der EWG ist es den USA gelungen, Europa inmitten einer politischen Krise zu spalten.“ Länder, die bislang ein Veto im Weltsicherheitsrat erwogen hätten, sollten durch den Brief unter Druck gesetzt werden, sich zu enthalten.

Seit Präsident Chirac und Kanzler Schröder sich letzte Woche auf eine gemeinsame Position zum Irak einigten und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld darauf mit dem verächtlichen Wort vom „alten Europa“ reagierte, waren die Wogen auf beiden Seiten des Atlantiks hochgeschlagen. Am Montag, nach der Veröffentlichung des Berichts von UN-Waffeninspekteur Blix, verständigten sich Chirac und Schröder erneut über ihr „identisches“ Vorgehen. Die beiden waren sich „einig“, dass die UN-Inspektoren die nötige Zeit bekommen müssen, um „ihre Mission zu erfüllen“.

Am Dienstag telefonierte Chirac mit Blair. Dabei versicherte der Franzose dem Briten, wie zentral und dauerhaft die französisch-amerikanische Freundschaft sei. Gestern galt es in Paris als ausgemachte Sache, dass der britische Regierungschef, der in französischen Medien zurzeit stets mit dem Zusatz „der engste US-Alliierte in Europa“ auftaucht, hinter der Achter-Initiative steckt.

Bislang herrscht in Frankreich eine große und alle Parteien übergreifende Einigkeit darüber, dass – O-Ton Chirac – „Krieg immer das Eingeständnis eines Scheiterns“ und zugleich die „schlechteste Lösung“ ist. Auf der Linken haben sich sämtliche Parteien gegen einen Krieg ausgesprochen. Auch in den Reihen der rechten Regierungsparteien gibt es zahlreiche kritische Stimmen. Und die Bevölkerung ist mit mehr als 75 Prozent gegen ein militärisches Vorgehen.

Zugleich hat Staatspräsident Chirac jedoch bereits Anfang Januar deutlich gemacht, dass sein Land militärisch „für jede Eventualität“ gewappnet sei. „Haltet euch bereit“, so lautete sein Neujahrsgruß an das Militär.

Gestern ist der US-amerikanische Spaltkeil jedoch auch bei Chiracs Anhängern angekommen. Der rechtsliberale Parlamentsabgeordnete Alain Madelin brach im Figaro ein Tabu. Ein Krieg im Irak, schrieb er, wäre „legitim“.

Brüssel war nicht informiert
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Versteinerte Mienen gestern in den Fluren der Brüsseler EU-Kommission und im Ratsgebäude. Offiziell bleibt der Sprecher der Kommission sehr gelassen: „Der Brief spiegelt den Standpunkt der Unterzeichner wider. Unsere Sicht wird durch die gemeinsame Erklärung aller Außenminister von Anfang letzter Woche ausgedrückt.“ Und die Sprecherin des Hohen Vertreters für Außenpolitik erklärt: „Javier Solana ist nicht der Vertreter von fünf EU-Staaten. Sein Aufgabenfeld ist dort, wo alle fünfzehn Mitglieder einen gemeinsamen Nenner haben.“

Dass dieser gemeinsame Nenner durch den Alleingang von fünf Regierungen gefährdet ist, will in Brüssel niemand offiziell bestätigen. Sowohl Solanas Mitarbeiter als auch die Sprecherin des außenpolitischen Kommissars Chris Patten sagen aber ganz offen, dass beide Politiker nicht vorab von dem Brief informiert waren.

Noch am Mittwochnachmittag hatten sich Patten und Solana in einer Plenardebatte des Europaparlaments scherzend die Bälle zugeworfen: Sicher, durch den Job seien sie beide nicht jünger geworden, doch sie seien weit davon entfernt, sich alt zu fühlen. Auf den Tischen mehrerer Abgeordneter standen Schilder „This is Old Europe“ und „No war with Irak“. Selbstbewusst hatten die Fraktionen über die Frage beraten, ob eine unabhängige Parlamentariergeneration von Grünen und Linken, die am Sonntag nach Bagdad fliegen wird, von Saddam Hussein nicht für dessen Propaganda missbraucht werden könnte. Francis Wurtz, der die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken führt, hatte viele politische Gegner überzeugt, als er sagte: „Niemand kann mir nachsagen, Diktatoren in die Hände zu spielen. Ich werde aber alles tun, um diesen Krieg zu verhindern.“

Im Licht der Sonderinitiative fünf derzeitiger und drei künftiger Mitgliedsstaaten verschwimmt das eigene außenpolitische Profil der Union völlig. Vor einer Woche noch hatte sich die amtierende griechische Präsidentschaft bemüht, alle Regierungen auf einen gemeinsamen Standpunkt zum Blix-Bericht zu verpflichten. Schröders wahltaktischer Alleingang, so war zu hören, habe die Verständigung erschwert. Der Brief der acht lässt eine gemeinsame Position in der Irakfrage nun vollends undenkbar erscheinen.