Überdruss im Sandkasten

Bruckners „Krankheit der Jugend“ im Thalia in der Graußstraße fokussiert orientierungslose 30-Jährige

Die Jugend ist selten so süß wie ihr Ruf. Die meisten stürzt sie in heillose Verwirrung und emotionale Zerreißproben. Es bleibt so eine „Sehnsucht nach der Watte, in der man liegt“, sagt die angehende Medizinerin Desiree. Die Verzweiflung hat in der Studentenclique in Ferdinand Bruckners Krankheit der Jugend ein fortgeschrittenes Stadium erreicht: Akademisch elitär gebildet, existentiell gesichert, können sie trefflich über das Leben fabulieren. Doch ohne Vorbild und Orientierung bleiben glücklose Leere und Niedergang.

Für seine Inszenierung im Thalia in der Gaußstraße hat Regisseur Stephan Rottkamp das expressionistische Stück gekonnt aus der Pubertätsecke geholt und brachial auf den beklagenswerten Zustand der heute 30-Jährigen zugeschnitten. Bühnenbildner Robert Schweer lässt die fünf Studenten und ein Zimmermädchen wie junge Hunde in einer Art rosa gekacheltem Sandkasten toben. Dort umwinden und umwerben, lieben und verletzen sie einander und leben ihre alltäglichen Katastrophen aus. Wenn sie nicht weiterwissen, hilft die Tonspur von Nick Cave bis Prodigy weiter.

Die lebenshungrige Desiree (Angela Ascher) ist dem Überdruss gefährlich nahe: Sie hat alle Männer der Clique durch, nun stürzt sie sich in eine lesbische Liaison mit Marie. Susanne Wolff ist die Vorbildlichste im Blumenbeet, unermüdlich gräbt und werkelt sie. Ihr Fleiß reicht auch noch für ihren Freund Petrell, einen unbegabten Schriftsteller, genannt „Bubi“. Der dankt es ihr, indem er mit der spröden Kommilitonin Irene (Maren Eggert, unerhört komisch als bebrillte Streberin), genannt „Mädi“, durchbrennt. Bei Freder, Desirees Exfreund, Student im 85. Semester mit „Dickbuchdepression“, ist der Selbsthass so ausgeprägt, dass er es bei jeder versucht. Nachdem der schlonzige Felix Knopp kurz Irene mit Rotlicht, Ventilator und spiritueller Musik verführt hat, stiftet er die unsichere Lucy (Katharina Pichler) zum Klauen und zur Prostitution an, bevor er sich Marie zuwendet

Die Krankheit der Jugend, für manch einen wird sie zur Krankheit zum Tode. Der kurze letzte Akt findet an einer riesigen Tafel statt. Doch das Essen will den Beteiligten nicht schmecken. Letzte Grenzüberschreitungen schreien nach Gift und Anstiftung zum Mord. „Jugend ist ein Gefahrenherd“ heißt es bei Bruckner. Stephan Rottkamp macht deutlich, dass das Leben ein Gefahrenherd bleibt. Annette Stiekele

nächste Vorstellungen: 1., 2., 9., 10. 2., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße