robin alexander über Schicksal
: Die Wirrsten der Viren

Es ist gar nicht schwer, im Zeitalter der Reizüberflutung ein bisschen Aufmerksamkeit zu ergattern

Heutzutage muss man sich schon einiges einfallen lassen, um trotz 40 Fernsehprogrammen, 400 Zeitungen, 4.000 E-Mails pro Stunde und 40.000 Werbebotschaften in der Minute wahrgenommen zu werden. Im idealen, weil herrschaftsfreien Diskurs erlangt der Mensch Beachtung, indem er mit einem originellen, klugen Argument die Debatte weiterbringt. So sieht das Jürgen Habermas. Erfolgreicher ist Jürgen Drews, der die Zuschauer von RTL II und die Leser von Bild damit fängt, dass er auf Mallorca vor laufenden und klickenden Kameras die operierten Brüste seiner Freundin entblößt. Wie auch immer: Aufmerksamkeit ist in der Mediengesellschaft ein knappes Gut. Was soll der tun, der – wie die meisten von uns – mit einem langsamen Hirn und einer schamvollen Freundin gleichzeitig geschlagen ist? Fehler machen!

Fehler machen? In der Tat. Der Fehler ist der Königsweg der anschlussfähigen Kommunikation. Noch mehr als geistige Herausforderung – der Diskurs im Habermas’schen Geiste – und der vulgären Stimulanz – Drews seine Freundin ihre Titten – liebt der Mensch etwas anderes: das Korrigieren seines Mitmenschen.

Einen daumendicken Packen Leserzuschriften erhielt die taz auf den Text, der vor vierzehn Tagen an dieser Stelle unter dem programmatischen Titel „Schwanger im Nebel“ erschien. Aus ganz Deutschland suchten Leserinnen und Leser über E-Mail, Brief und Fax Kontakt zur Redaktion, um sie auf einen Fehler hinzuweisen: Ich hatte Röteln und Windpocken verwechselt.

Hallo Robin, da haben Sie dich aber ganz schön reingelegt“, schreibt Johannes E. von der Pflegegruppenleitung der Infektionsstation der Universität G.: „Also: Röteln sind Röteln und Gürtelrose sind Windpocken von früher. Oder vielleicht doch Pocken oder Ebola oder Pest oder Anthrax????

Da lacht die Infektionsstation. Aber böser Spott ist nicht das einzige Bedürfnis, das ein Fehler beim Leserbriefschreiber auslöst. Häufiger ist die freundlich-bestimmte Belehrung: „Im Fieber ist Ihnen bedauerlicherweise beim Schreiben Ihres heute erschienenen Artikels ein nicht unerheblicher Fehler unterlaufen“, klärt mich Nicole N. auf, Ärztin aus 68775 K.: „Entgegen Ihres Berichtes ist eine sog. Gürtelrose, im Fachjargon Herpes zoster genannt, keine reaktivierte Rötelinfektion, sondern die des Varizellen-Zoster-Virus (VZV), Verursacher der Windpocken (Varizellen).

Auch Verweise auf Fachliteratur wurden eingesandt und diverse medizinische Abbildungen. Eine ostdeutsche Leserin verwies gar auf die Homepage der SuperIllu („Sprechstunde 191: Kann man eine Gürtelrose wirklich besprechen lassen?“). Eine systematische Auswertung aller Beschwerdezuschriften in Sachen Röteln-Windpocken-Gürtelrose, mit der Redakteur und Autor einen ganzen Tag beschäftigt war, lieferte aufschlussreiche Erkenntnisse. Demnach ist das Korrekturbedürfnis eine anthropologische Konstante, die aber vor allem Akademiker hemmungslos ausleben. Frauen neigen dabei zum Aufklären, Männer zum Scherzen – wie im richtigen Leben. Seltsam aber ist: In Leserbriefen mit korrigierender Intention motzen Frauen eher. Grammatisch neigen die Beschwerdeführerinnen so stark zu Imperativ und Ellipse, dass man beim Lesen unwillkürlich den Kopf einzieht. „Peinlich, peinlich, lieber Robin Alexander! Peinlich auch für die Korrektur!“, schreibt etwa Betti H. aus blinx.de. Auch bei der Interpunktion hat die Korrekturpost von Autorinnen deutlich Schlagseite: „Liebe taz! Schlecht recherchiert!“, schimpft etwa Brigitte H., Internistin aus Achen in einem Fax, das aus drei Sätzen und vier Ausrufezeichen besteht.

Folgen wir der beliebten Journalistenfibel „Freud für Anfänger“, lässt sich leicht folgern, dass die rechthaberische Verbesserung Lustgewinn erzielt aus der Demonstration von Überlegenheit. Mithin ist das Schreiben solcher Briefe, Faxe und E-Mails ein sadistischer Akt. Interessant, dass manche lieber auslachen, andere sich hingegen in Chefrollen hineinsteigern, was bis zur Forderung personeller Konsequenzen geht.

Halt! Niemand aus der Korrektur oder der Redaktion soll um seinen Arbeitsplatz fürchten. Der Autor nimmt jeden Schnitzer ganz auf das eigene Kerbholz. Und, weil der Wunsch der Leser unserer kleinen, tapferen Zeitung immer Befehl ist, haben wir auch in diesem Text einen klitzekleinen Fehler eingebaut. So einfach wie beim letzten Mal ist er allerdings nicht zu finden. Unter den ersten zehn Einsendern verlosen wir den schönen Fotoband „Therapie der Hautkrankheiten“.

Fragen zu Schicksal?kolumne@taz.de