Die Achse der dankbaren Guten

Die Unterstützeraktion von acht europäischen Staats- und Regierungschefs für die USA löst heftige Debatten aus. Staaten, die nicht gefragt wurden, wissen warum. Die Regierungen von Tschechien und Ungarn sehen sich bei Washington in der Schuld

von REINHARD WOLFF,
ULRIKE BRAUN, MARTON GERGELY

„Wenn wir nicht gefragt wurden, hat das wohl damit zu tun, dass man weiß, dass wir selbstständig denken können.“ Derart sarkastisch kommentierte Norwegens christdemokratischer Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik die Diskussion über den USA-Solidaritätsaufruf der acht Staats-und Regierungschefs und wunderte sich, dass der Brief überhaupt veröffentlicht wurde, „da ja nur eine klare Minderheit der EU- und Nato-Länder ihn stützt“. Alle Unterzeichner werden von der Osloer Tageszeitung Aftenposten wie überhaupt in vielen skandinavischen Medien unter der Kategorie „Länder, die wissen, wofür sie den USA dankbar sein müssen“ abgebucht.

Warum dann jedoch die drei baltischen Staaten offiziell nicht gefragt wurden, darüber sind in Estland, Lettland und Litauen unterschiedliche Theorien im Umlauf. So ist die Rede von innenpolitischer Rücksichtnahme vor den EU-Volksabstimmungen, die man angesichts von Bevölkerungen, die zu 80 Prozent gegen einen Irakkrieg sind, nicht durch eine zusätzliche Kontroverse gefährden möchte. Andere Beobachter vermuten, dass die baltischen Staaten in diesem Zusammenhang einfach als zu klein und leichtgewichtig angesehen werden. Zudem wird die These diskutiert, ein langsam auf US-Linie zuschlitterndes Russland könnte eher abgebremst werden angesichts des Gefühls, sich hinter diesen Exsowjetrepubliken einreihen zu sollen.

Wenn Helsinki und Stockholm gar nicht erst kontaktiert wurden, so hat das laut einer Quelle im dänischen Außenministerium damit zu tun, dass man deren Haltung von vornherein als ablehnend einschätzte. Laut der gleichen Quelle soll das Fax, das am Montagabend beim dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen einging, nicht einen Absender aus Madrid, sondern aus London getragen haben. Vielleicht bereut Rasmussen bereits seinen politisch nicht verankerten Alleingang, steht er seitdem doch massiv in seiner Heimat unter Beschuss.

Dem will ein anderer Mitunterzeichner, der ungarische Regierungschef Péter Medgyessy, wohl vorbauen. Die regierungsnahe Tageszeitung Népszabadság titelte gestern ihren Aufmachen mit: „Bush begrüßt die Zustimmung der Acht – Medgyessy versichert: Die Entscheidung richtet sich nicht gegen Berlin und Paris.“ Derartige Beschwichtingsfloskeln sind an der Heimatfront nicht nötig. Aus den Reihen der Opposition war zwar zu hören, die Unterschrift sei verfrüht und liege allein in der Kompetenz des Parlaments, inhaltliche Kritik jedoch war nicht zu vernehmen. Öffentliche Empörung – ebenfalls Fehlanzeige, und das, obwohl einer Umfrage des Gallup-Institutes von Anfang dieser Woche zufolge 80 Prozent der befragten Ungarn einen Angriff auf den Irak sogar in dem Fall ablehnen, dass der UN-Sicherheitsrat zustimmt.

Dennoch spekulierten Beobachter über Medgyessys Motive. Eine Antwort: Ungarn scheint zu wissen, was es den USA schuldet. Es war die Regierung in Washington, die Ungarns Nato-Beitritt in Brüssel durchboxte (um im Kosovo-Krieg die Angriffe gegen Serbien von ungarischem Boden starten zu können). Im Sommer 2002 ließ Nato-Generalsekretär Robertson Budapest wissen: Die Mitgliedschaft heiße nicht, dass Ungarn nichts mehr in die eigenen Sicherheit investieren müsse, neben vielen Rechten gebe es auch viele Verpflichtungen. Tatsächlich sind die Ungarn zögerlich, wenn es um eine Verteidigungsreform geht. Die Armee des Landes ist kaum einsetzbar. Die Technik taugt allenfalls noch für ein Museum. Medgyessy dachte wahrscheinlich, mit seiner Unterschrift ließe sich einiges gutmachen, ohne Steuergelder dafür ausgeben zu müssen.

Derartige Sorgen braucht sich Tschechiens Staatspräsident Václav Havel, dessen Amtszeit morgen ausläuft, nicht zu machen. Seine Unterschrift sei Ausdruck von Havels ganz persönlicher Meinung, erklärte das tschechische Außenministerium knapp. Premier Vladimir Spidla wurde zwar auch gebeten, den Aufruf zu unterzeichnen, lehnte aber ab. „Außenpolitik wird durch offizielle Entscheidungen und nicht durch Zeitungsartikel bestimmt“, meinte Spidla.

Weise Worte, vor allem da drei Viertel der tschechischen Wähler einen Angriff auf den Irak ohne weitere UN-Resolution ablehnen. Verwunderlich bleibt die unkritische Haltung Havels gegenüber der Irakpolitik der USA. Der gleiche Havel, der sich durch kritisches Hinterfragen bestehender Umstände verdient gemacht hat, identifiziert sich voll mit den Zielen der USA. The Land of the Free and the Home of the Brave sehen gerade tschechische Exdissidenten durch das Prisma des selbst erlebten Totalitarismus. Ein Krieg gegen den Irak sei vor allem ein Krieg gegen die Diktatur. Havel, so wird gemunkelt, hofft noch immer auf den Friedensnobelpreis. Dafür hat er sich jetzt wohl disqualifiziert.