Stolpern gegen das Vergessen

Gunter Demnig verlegt seit Jahren Stolpersteine, die an Opfer des Nationalsozialismus erinnern sollen. In Hamburg liegen schon über 230, heute kommen drei weitere hinzu

„Gibt es in Hamburg Frost?“ will Gunter Demnig wissen. Schnee mache ihm nichts, aber bei Frost könne er seine Arbeit nicht ausführen. Seine Arbeit sind Stolpersteine. Heute will er mehrere in Hamburg verlegen.

„Hier wohnte“ steht in großen Lettern auf den zehn mal zehn Zentimeter großen Steinen, und dann noch ein Name, ein Geburtsdatum und ein Schicksal. „Hier wohnte Ernst Wahl, Jg. 1873, deportiert 1942, Theresienstadt, ermordet 1944 in Auschwitz“ zum Beispiel. „Die Steine sollen zum Nachdenken anregen“, sagt der Künstler, der schon seit 1992 Stolpersteine verlegt.

Auf die Idee ist er während eines anderen Projekts gekommen. 1990 hat er in seinem Wohnort Köln eine Messing-Wegspur verlegt, die an Häusern und Sammellagern ermordeter Sinti und Roma vorbeiführte. Damals sei eine ältere Frau auf ihn zugekommen, die ihm auf die Schulter geklopft und gesagt hat: „Das ist ja alles ganz nett, was Sie da machen. Aber hier haben keine Sinti und Roma gelebt.“ Da habe er ihr erst einmal Unterlagen zeigen müssen, die belegten, dass sie gar nicht gewusst hatte, wer ihre Nachbarn gewesen sind. „Sie waren Nachbarn und wussten nichts voneinander“, sagt Demnig und ist immer noch erstaunt.

Drei Jahre Kampf mit Ämtern hat es gebraucht, bis er die ersten Stolpersteine in Köln verlegen konnte. Mittlerweile sind es 2100 Stück unter anderem in Bonn, Hamburg, Berlin, Leverkusen und „seit vergangener Woche in Freiburg“.

98 Prozent der Menschen reagierten sehr positiv, erzählt Demnig. Viele Hausbewohner wollten wissen, in welcher Wohnung denn genau die Deportierten gelebt haben, immer schaue ihm bei der Arbeit jemand zu. „Auch junge Leute, von denen ich gedacht habe, sie seien schon voll gestopft mit dem Thema, interessieren sich“, berichtet der Bildhauer. Jeder Stolperstein braucht einen Paten, eine Patenschaft kostet 75 Euro. „Es gibt immer mehr Interessierte.“

Es gebe aber auch Menschen, die sagen: „Das interessiert uns nicht. Wir denken an die Zukunft.“ Er erzählt von einem Rechtsanwalt aus einem feinen Kölner Viertel, der mit einer Klage gegen Demnig bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen wolle. Angeblich falle der Wert seiner Immobilie wegen der Stolpersteine auf der Straße.

In Hamburg hat der gebürtige Berliner bereits über 230 Steine verlegt, überwiegend in Eimsbüttel und im Grindelviertel. „Nur in Bergedorf haben sich Schill-Partei und CDU quer gelegt und geben keine Genehmigung.“ Begründung Nummer Eins: Sie hätten schon genug für Nazi-Opfer getan. Begründung Nummer Zwei: Der Künstler wolle sich nur bereichern. Demnig lacht: „Bei 75 Euro pro Stein soll ich reich werden wollen?“

Heute will er in Hamburg Steine für Mitglieder der Weißen Rose und Opfer des Altonaer Blutsonntags verlegen. „Mir ist es wichtig, dass nicht nur Juden gedacht wird, sondern auch Sinti und Roma, politisch Verfolgter, Homosexueller.“ Im Mai will er in Hamburg Steine für Euthanasieopfer verlegen.

lena gorelik

Infos: www.stolpersteine.com oder ☎ 410 51 62. Gedenkveranstaltung für Hermine Baron, Dr. Katharina und Hans Leipelt sowie Verlegung dreier Stolpersteine am Montag, dem 3. Februar, um 15 Uhr, Gehweg vor dem Haus Mannesallee 20 in Wilhelmsburg.