Im Dienst der Weißen Rose

Die Geschichte von Hans Leipelt und seiner Freundin Marie-Luise Jahn. Sie waren Helfer der Nazi-Widerstandsgruppe Weiße Rose. Er wurde hingerichtet. Sie besucht heute in Hamburg eine Gedenkveranstaltung für ihren Kommilitonen

von LENA GORELIK

„Es gibt nur eine Parole: Kampf gegen die Partei! Heraus aus den Parteigliederungen, in denen man uns politisch weiter mundtot machen will! Heraus aus den Hörsälen der SS-Unter- und -Oberführer und Parteikriecher!“ heißt es im sechsten und letzten Flugblatt der Weißen Rose. Die Münchner Gruppe um die Geschwister Sophie und Hans Scholl ist zum Symbol geworden für den Widerstand gegen die Hitler-Diktatur. Die Mitglieder der Weißen Rose wurden im Laufe des Krieges hingerichtet, ihre Unterstützer verhaftet. Auch der Hamburger Hans Leipelt hat Flugblätter verteilt und wurde dafür zum Tode verurteilt. Wenn heute mit der Verlegung von drei Gedenksteinen der Familie Leipelt gedacht wird, ist auch Marie-Luise Schultze-Jahn anwesend.

„Ich habe Hans Leipelt 1941 kennen gelernt“, erzählt Schultze-Jahn, die mit ihm die Weiße Rose unterstützt hat. Beide studierten Chemie in München. „Hans war als so genannter Halbjude deklassiert und durfte nur Naturwissenschaften studieren.“ Ihr Professor, der Nobelpreisträger Heinrich Otto Wieland, habe sich über die Rassegesetze hinweggesetzt: „25 Prozent Halbjuden haben bei ihm studiert.“ Im kleinsten Kreise habe man sich über politische Ansichten unterhalten. „Hans Leipelt und ich dachten beide: Der Krieg darf nicht von den Nationalsozialisten gewonnen werden.“

Es war Anfang Februar 1943, als Hans Leipelt das sechste Flugblatt der Weißen Rose zugespielt wurde. „Wir wussten nicht, von wem es kam“, erzählt Schultze-Jahn. „Von der Kerngruppe, die aus Medizinstudenten bestand, kannten wir niemanden.“ Die beiden waren begeistert: „Da hat endlich jemand ausgesprochen, was wir dachten.“ Doch schon kurz danach flog die Gruppe auf, die Geschwister Scholl und Christoph Probst wurden hingerichtet. „Wir haben uns gesagt, irgendjemand muss doch die Menschen aufklären.“

Immer und immer wieder haben die beiden das Flugblatt mit der Schreibmaschine abgetippt. Eine Neuerung gab es: Über dem Flugblatt stand jetzt „Und ihr Geist lebt weiter“. Die Flugblätter haben sie unter Freunden, Bekannten und Kollegen, „die uns zuverlässig erschienen“, in München verteilt, später auch nach Hamburg geschmuggelt und dort weitergegeben.

„Angst?“ Die 84-Jährige lacht. Danach werde sie häufig gefragt. „Das war selbstverständlich, dass wir die Flugblätter verteilt haben. Wir hatten damals ein anderes Gefühl für Gefahr. Zum Teil haben wir Angst einfach verdrängt.“ Schließlich habe man sich auch an die ständigen Bombenangriffe gewöhnt.

Einige Wochen nach der Hinrichtung der Scholls wurden auch Alexander Schmorell, Willi Graf und der Philosophieprofessor Kurt Huber verhaftet, die ebenfalls der Weißen Rose angehörten. Leipelt und Jahn sammelten Geld für Hubers Angehörige, die als Familie eines „Volksfeindes“ sämtliche Pensionsansprüche verloren. Das Geld leiteten sie anonym weiter, trotzdem wurden sie denunziert. „Ich weiß bis heute nicht, von wem“, sagt Schultze-Jahn.

Hans Leipelt, Marie-Luise Jahn und auch Leipelts Schwester und Mutter wurden verhaftet. Im Oktober 1944 kam Hans Leipelt vors Volksgericht in Donauwörth, wo er alle Schuld auf sich nahm, um seine Freundin zu entlasten. Er wurde zum Tode verurteilt und im Januar 1945 als letzter politischer Häftling hingerichtet. Seine Mutter Dr. Katharina Leipelt, getaufte Jüdin, war zwei Tage nach ihrer Verhaftung in ihrer Zelle tot aufgefunden worden – wie sie starb, ist nie geklärt worden. Hermine Baron, Leipelts Großmutter, war bereits im Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert worden, wo sie im Januar 1943 starb.

„Ich wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt“, erzählt Marie-Luise Schultze-Jahn. US-Soldaten haben sie im April 1945 befreit. Wie auch Hans Leipelts Schwester Marie. Sie emigrierte ein Jahr später in die USA – als einzige Überlebende der Familie.