Hundert Euro die Leiche

Als Nachwuchsgrabredner in die Bestatterbranche einzusteigen ist nicht leicht

„Die Leute wollen unbedingt eine kirchliche Bestattung. Das machst du doch?“

Der Anruf kommt am Morgen. „Hast du am Freitag schon was vor? Willst du hundert Euro verdienen?“ Aha! Siegfried, der Bestatter, hat endlich einen Toten für mich. Aber hundert Euro? Mickrig. Verdammt mickrig. Ich schweige. „Plus Umsatzsteuer natürlich. Die Leute wollen unbedingt eine kirchliche Bestattung. Das machst du doch?“ – „Dafür gibt’s doch Pastoren …“ – „Ja doch, aber die Familie ist nicht in der Kirche. Hast du einen Talar? Nein? Aber eine schwarzen Anzug hast du doch im Schrank?“ – „Ja, na ja …“ In meinem Kopf rattert es: Hundert Euro sind verdammt wenig.

Siegfried hat schon ein Haufen Zaster gemacht mit seiner Bestattungsfirma, zwei nagelneue Autos, Riesenschiffe, stehen vor seiner Tür. Andererseits, ich will in die Branche einsteigen. Also gut, ich werde ihm eine richtig schöne kirchliche Beerdigung nach allen Regeln der Kunst und mit Gesangbuchliedern zum Einsteigerpreis machen, und wenn das Mütterchen unter der Erde liegt, ruf ich Siegfried an und sag, dass beim nächsten Mal zumindest das übliche Honorar fällig ist. Und das ist ein Freundschaftspreis, schließlich ist eine kirchliche Bestattung weit mehr als das übliche Gelaber. „Machst du’s? Prima,“ dröhnt Siegfried mit Bestatterbass. „Ruf meine Kollegin an! Die kennt alle Einzelheiten, sie hat den Fall angenommen.“ Klack, aufgelegt.

„Schön, dass Sie das machen. Mir fällt ein Stein vom Herzen! Sie haben eine so schöne warme Stimme.“ Die Bestatterin hört gar nicht mehr auf zu schlingern. „Die Feier ist um zehn. Abschied am offenen Sarg eine halbe Stunde früher. Sie kennen sich ja aus.“ Am offenen Sarg? Ich erschrecke ein wenig. „Hab ich da was zu tun?“ – „Nein, am offenen Sarg machen die alles selbst. Am besten ist, sie telefonieren mit der Ehefrau, der Mann ist nicht richtig ansprechbar. Wollen Sie einen Hausbesuch machen?“ – „Ja, natürlich.“ Wer ist da eigentlich gestorben?, überlege ich. Die Bestatterin breitet Familienverhältnisse aus und sagt, dass sehr, sehr viele Verwandte anreisen werden und dass es eng werden könnte in der Kapelle. Sie räuspert sich. „Also, der Verstorbene ist der Sohn, 25 Jahre alt.“ Auweia! Wieso hab ich bloß gedacht, dass es ein Mütterchen ist? „Er hat sich das Leben genommen.“ Ich schlucke. „Seine Frau ist hochschwanger.“ Mein Gesicht gefriert. Um Gottes Willen! Ein Familiendrama. Und das für hundert Euro! Ich notiere die Telefonnummer und lege auf.

Das hat Siegfried garantiert gewusst und kein Wörtchen gesagt. Ich bin pappesatt. Die ganze Woche ist hin. Soll Siegfried doch die abgehalfterte Sängerin nach vorn schicken, die sonst alle seine Leichen unter die Erde bringt. Soll er doch selbst einen Talar über seinen Bauch knöpfen und kräftig frömmeln. Halt, nein! Ich sage nicht ab. Ich nicht! Ich werde nicht mal bei Siegfried anklingeln und mich beschweren. Ich werde die Familie anrufen, sie morgen besuchen und übermorgen an der Rede arbeiten.

Am Nachmittag der erste Versuch – am anderen Ende rauscht nur ein Band, der Anrufbeantworter. Ich verschiebe das Telefonat auf den Abend. Doch zuvor klingelt das Telefon. „Haben Sie die Familie schon erreicht? Ich habe etwas Wichtiges vergessen“, wispert die Bestatterin. „Ich hoffe, Sie springen nicht ab?“, bettelt sie. Ob er wohl einen Menschen umgebracht hat? Ich warte. „Es ist ein Soziaaalfall!“ Ihre Pein scheint groß. „Ja, und? Was heißt das für mich?“ – „Wie viel haben Sie denn mit Siegfried ausgemacht?“ Jetzt rattert sie wie eine Registrierkasse. „Hundert Euro“, sag ich. „Uuuuh …! Einhundert Euro? Ich kann höchstens dreißig …“ – „Dreißig???“ Ich bin geplättet. Sie ächzt wie ein Klageweib. Plötzlich werde ich sehr froh und flöte mit samtener Stimme: „Das tut mir sehr Leid! Aber für dreißig Euro sehe ich mich außerstande. Mit Herrn Siegfried hatte ich hundert vereinbart. Plus Umsatzsteuer.“ – „Tja, dann muss ich mir eine andere Lösung einfallen lassen.“ Traurig flüstert es in der Leitung. „Wir werden sicher später einmal zusammenarbeiten“, wispert es weiter. Ich zirpe: „Aber gewiss doch!“, lege den Hörer sorgfältig wie ein Blumensträußchen zurück und atme sehr tief durch.

Diese Bestatterbande! Für dreißig Euro kommt heutzutage kein Aushilfsklempner mehr ins Haus, um einen Hahn zu reparieren, aber eine kirchliche Beerdigung mit Psalmen und Aussegnung verlangen! A propos Klempner – es ist Zeit, dass ich mir ein Bier aufmache. Der Tag war anstrengend. Sehr anstrengend. THOMAS GERLACH