Dallas – das Trauma

Die Ewings bevölkern nach langer Pause wieder das deutsche Fernsehen (22.10 Uhr, Kabel 1). Ein Wiedersehen mit den Ölbaronen als Selbstversuch

Ist es möglich, dass Miss Ellie am Ende nymphoman geworden ist?

von DÖRTE FRANKE

„Dallas“, das war in den Achtzigern. Schwarzweiß und heimlich, den Einschaltknopf immer auf Anschlag. Meine Eltern hätten mich garantiert verstoßen. Bei uns zu Hause wurden texanische Ölbarone nämlich nur in Zusammenhang mit anderen Dämonen erwähnt. Pershings zum Beispiel. Und der Fernseher wurde sowieso nur wegen der „Tagesschau“ eingeschaltet.

Deshalb dachte ich zuerst auch, der Fernseher sei schuld. Alles viel größer, bunt, und an den Ewings konnte es ja kaum liegen. Die bewegten sich in einem Wertesystem, dessen Koordinaten so fest wie die Zäune der Southfork-Ranch standen. Sue Ellen zum Beispiel, das wusste man einfach, war immer dicht oder gerade auf Entzug.

Wenn Bobby duschen ging, schien alles möglich, und sobald J. R. sein Mantra („Mein Daddy hat immer gesagt …“) intonierte, stand eine feindliche Übernahme ins Haus. Und Miss Ellie. Ich glaube, es lag an Miss Ellie. Das hat mir wirklich den Rest gegeben, in dieser Nacht.

Ich verlasse mich auf den Timer und das Kabel-1-Nachtprogramm. Meine beiden Freunde, ohne die ich schon lange schlafmittelabhängig wäre.

Ich döse. Wie immer. Sehe Staub, ein Meer von Cowboyhüten, Burgern und Steaks. Weiß noch gar nichts, weil das hier irgendein Texas-Barbecue sein könnte. Und dann steht sie da. Neben dem Grill, lächelt dieses sinnlose Lächeln. Braucht keinen Grund, das kommt bei einer wie ihr von innen. Und diese Augenlider, die hängen immer noch da, genauso wie früher. Wahrscheinlich wurden sie einfach runtergezogen vom moralischen Ballast ganzer Ewing-Generationen.

Ich fand Miss Ellie immer schon zum Kotzen. Aber es ist schön, sie zu sehen. Weil das hier nur „Dallas“ sein kann, und ich heute Nacht ganz wunderbar einschlafen werde. Wenn gleich Clayton Farlow kommt und seine Ellie auf diese ganz spezielle, komplett asexuelle Art auf die Wange küsst, werde ich schon irgendwo ganz anders sein. Kommt nicht, der Clayton, dafür ein anderer alter Mann. Den hab ich noch nie gesehen, aber der legt trotzdem den Arm um sie. Als Mama Ewing dann noch einen zweiten, mir ebenfalls unbekannten Senioren anbaggert, werde ich unruhig. Hier stimmt doch was nicht. Wo sind die sehr blonde Frau mit dem Fäkalnamen und John Ross? War das mit dem Mineralwasser wirklich Sue Ellen? Und selbst wenn sich seit den Achtzigern einiges verändert haben mag: Ist es möglich, dass Miss Ellie am Ende nymphoman geworden ist?

Das mit dem Schlafen hat sich erledigt, ich rauche jetzt. Mit fällt auf, dass Bobby von der falschen Frau an der karierten Brust gekrault wird. Irgendwie dachte ich immer, der sei mit der Ex von Elvis Presley zusammen, die dann später dieses Parfüm in dem hässlichen Flakon gemacht hat.

Aber wer weiß? Pam war ja auch immer dabei, und in dieser Folge ist sie eben mal schwanger von ihm. Immerhin, Bobby selbst hat sich nicht verändert, der bewegt sich immer noch hart an der Grenze zur Debilität. Deshalb kriegt er auch nicht mit, was mir schon so lange klar ist, dass ich doch wieder müde werde.

J. R. hat was vor, das sieht man an seinem Blend-a-Guck-mal-meine-Zähne-Grinsen. Natürlich hat es was mit schmutzigem Sex zu tun, weil auf seinen Hormonspiegel Verlass ist. Wie früher, ich könnte also wirklich. Mich entspannen. Weiter dösen. Mach ich auch.

Ich döse. Wie immer. Sehe Staub, ein Meer von Cowboyhüten, Burgern und Steaks

Sehe Pam noch auf den Heuboden klettern, weil sie ganz doll traurig ist und allein sein will. Interessiert mich nicht mehr, warum. Ich weiß nur, dass die blöde Kuh von Anfang an viel zu nah am Abgrund liegt. Ahne schon, dass J. R. solange an ihr herumgrapschen wird, bis sie runterfällt und den Ewing-Fötus natürlich beinahe verliert. Ich bin dann doch eingeschlafen. Deshalb weiß ich auch nicht mehr, ob Sue Ellen wirklich im Vollmondlicht auf diesem weißen Pferd im Kreis geritten ist. Sie trug ein langes, weißes Negligé, war erwartungsgemäß stinkebesoffen, und J. R. schlug ihr die Bourbonflasche aus der Hand. Sue Ellen hat sich in dieser Nacht sehr über die Sache mit Pam aufgeregt und in meiner Erinnerung nie überzeugender gelallt.

Heute weiß ich natürlich, dass Miss Ellie gar nicht fremdgegangen ist. Der Typ neben ihr war nämlich Jock Ewing, weil das eine Folge von 1978 war. Den konnte ich nicht kennen, genauso wenig wie den anderen, mit dem Miss Ellie in dieser Nacht rumgefummelt hat. Und die waren beide schon lange tot, als ich damals im dunklen Wohnzimmer mit der Zimmeranntenne hantierte. Ich mache mir jetzt keine Sorgen mehr, wenn die Ewings mit Fremden ins Bett gehen. Timer und Kabel-1-Nachtprogramm genießen wieder mein volles Vertrauen, und die alten Gesichter trudeln langsam ein, auf Southfork. Wenn Montagnacht die Titelmelodie ertönt, bin ich meistens schon weggedöst. Manchmal, aber nur ganz selten, da macht sich der Puls dann doch wieder bemerkbar. Einmal bin ich aufgewacht und sah Miss Ellie mit einer geladenen Schrotflinte auf einen Fremden zielen.

In dieser Folge hat sie sogar Schimpfworte benutzt. Und mit der Affäre von Cliff Barnes und Sue Ellen bin ich gar nicht klar gekommen. Als die beiden dann auch noch heiraten wollten, hab ich mir sogar ein Glas Wein geholt. Mitten in der Nacht. Überhaupt läuft das jetzt alles ein bisschen aus dem Ruder. Gerade erst hab ich mich an Jock gewöhnt, da geht der plötzlich fremd. Immerhin mit einer Sekretärin, diese Tradition wird also noch ernst genommen.

Aber dass Miss Ellie daran schuld sein soll, weil sie ihn zu sehr bemuttert. Das geht mir dann doch zu weit. Die heißt ja nicht nur so, die könnte tatsächlich Werbung für Pancake-Fertigmischungen machen. Was hat der Typ also erwartet? Vielleicht muss ich mir doch ein neues Nachtprogramm suchen. Oder einfach noch ein paar Jahre warten, bis die Ewings sich wieder zurecht finden, in ihrem Koordinatensystem.

Die Schriftstellerin Dörte Franke, 28, hat zuletzt „denkmalimkopf“ (dtv, 2002) veröffentlicht. „Dallas“ guckt sie am liebsten in der Nachtwiederholung, also gegen 4 Uhr morgens