Hunderttausend gegen Frieden

In der Elfenbeinküste demonstrieren Anhänger der Regierung gegen das in Frankreich ausgehandelte Abkommen mit den Rebellen. Sie wollen vor allem verhindern, dass die Rebellen Innen- und Verteidigungsministerium übernehmen

aus Abidjan HAKEEM JIMO

Es ist eine der größten Demonstrationen in der Geschichte der Côte d’Ivoire, als am Samstag weit über hunderttausend Regierungsanhänger aus allen Abidjaner Stadtteilen über die Stadtautobahnen zum Platz der Republik ziehen. Überall ragen Protestplakate in die Luft: „Frankreich, Anwalt der Terroristen“, „USA sind besser“, „Rebellenminister in der Côte d’Ivoire – niemals“.

Anlass: Das in Frankreich ausgehandelte Friedensabkommen für die Elfenbeinküste, das den Rebellenorganisationen zwei Ministerien sichert. Ein Gendarm sagt: „Den Rebellen die Ministerien der Verteidigung und des Inneren zu geben, wäre so als ob al-Qaida zukünftig das Pentagon führt.“ Dieses Gefühl der Erniedrigung tragen viele Ivorer im Süden mit sich herum, deshalb sind sie auf der Straße.

Um die neue antifranzösische Stimmung konsequent umzusetzen, spricht der Hauptredner der Demonstration die ersten Minuten nur auf Englisch. Aber Charles Blé Goudé ist kein multilingualer Diplomat, sondern mehr ein Truppführer der Jugendlichen.

Sein Englisch ist ein Imitat des HipHop-Englisch: „Are you ready“ und „alright“ kommen alle paar Sekunden – mit einem verweichlichenden französischen Akzent fälschlicherweise auf der zweiten Silbe. Charles Blé Goudé ist Chef der Jungen Patrioten und Star der Allianz der Jugendlichen. Zur Allianz gehören u. a. Musiker, ein Fußballstar, die Jugendorganisation der Regierungspartei und die nationale Studentenvereinigung Fesci.

Es waren auch die Junge Patrioten und Mitglieder der Fesci, die am vergangenen Freitag den Flugplatz stürmten, um dem per Präsidentendekret neueingesetzten Premierminister einen heißen Empfang zu bereiten. Seydou Diarra zog es aber nach der Stimmung in den letzten Tagen in Abidjan vor, noch ein Weilchen in Dakar zu bleiben und erst später aus dem Senegal in die Elfenbeinküste zurückzukehren.

Am Abend in der Nachrichtensendung um 20 Uhr des staatlichen Fernsehens „RTI“ gibt sich Blé Goudé diplomatischer. Er sagt, dass die Demonstration mit Teilnehmern aus allen gesellschaftlichen Kreisen bewiesen habe, dass man die Unsetzung der Friedensvereinbarungen von Marcoussis nicht zulassen dürfe.

Blé Goudé ist ein geborener Demagoge. In den Antworten auf nur zwei kurze Fragen nutzt er die Bandbreite von Schreien und Mit-der-Faust-auf-den-Moderatortisch-Hauen bis zum Verteilen fliegender Küsschen in die Kameras und das Studio. Er spricht von endgültiger Befreiung von kolonialen Mächten. Seine Worte werden gehört. Die Ivorer warten auf die richtungsweisende Rede eines politischen Führers.

Seit einer Woche sind die Friedensverhandlungen im Pariser Vorort Linas-Marcoussis abgeschlossen. Die wichtigsten Punkte neben Verfassungsänderung und Neuwahlen sind ein neuer Premierminister und das Übergabe des Verteidigungs- und Innenministeriums an die Rebellen. Vor allem der letzte Punkt bringt immer mehr Ivorer auf die Barrikaden.

Über der Hauptstadt Abidjan hängt die bleierne Stimmung der Unsicherheit und Angst. Geschäfte von Nicht-Ivorern öffnen nicht mehr: darunter die der Franzosen, Libanesen und auch die kleinen Kioske der Mauretanier. Der Mob schreit auf der Straße ungebremst fremdenfeindliche Parolen. Sicherheitskräfte agieren mit Willkür.

Die Tageszeitung Le Jour forderte Präsident Laurent Gbagbo am Freitag auf, endlich ein Wort zu sprechen, damit das Land zurück zu Frieden finden kann. Auch die Franzosen drängen den Regierungschef, dem Volk die Friedensvereinbarung nahe zu bringen.

Der aber sagt erst einmal gar nichts und öffnet damit allen Spielraum für gefährliche Interprationen und falsche Wortführer: Zuerst akzeptiert er das Abkommen in Paris, dann relativiert er es einige Tage später zu einem Vorschlag; der Innenminister erklärt es bereits ganz für null und nichtig, und der momentane einflussreichste Stimmungsmacher Blé Goudé nimmt Gbagbo jegliche Entscheidungsfreiheit.

Auch die internationale Gemeinschaft sieht das Dilemma, in das sich Gbagbo durch sein Schweigen selbst gebracht hat. Es scheint bereits der Kompromissvorschlag sicher, dass die Rebellen nur das Innenministerium stellen und das Verteidigungsministerium vom Premierminister übernommen wird – allerdings mit einem Rebellen als zweiten Mann im Verteidigungsministerium. Doch geht es nach Meinungsmacher Blé Goudé ist auch das nicht akzeptabel.

Um noch einmal zu vermitteln, sind am Samstag drei Staatschefs aus Nigeria, Togo und Ghana eingetroffen. Auch sie drängen auf eine Umsetzung des Friedensabkommens. Laurent Gbagbo zeigt sich beim Begrüßen genauso lächelnd wie nach dem Abschluss der Friedensverhandlungen in Frankreich.