Nasa im Dilemma

Von Shuttle-Flügen hängen Bau und Versorgung der Internationalen Raumstation ISS ab

von KENO VERSECK

Am Anfang war großer Enthusiasmus: Die Shuttle-Raumtransporter seien sicher, billig und könnten praktisch jede Woche starten. Mit dieser Aussicht machten Nasa-Experten US-Politikern und Steuerzahlern den Bau wiederverwendbarer Raumfähren in den Siebzigerjahren schmackhaft. Und sie glaubten wohl auch selbst daran: „Es war eine Art Titanic-Syndrom“, erinnerte sich der Ex-Astronaut Bryan O'Connor einmal an die Zeit, in der der Shuttle geplant wurde: „Nach dem Motto: ‚Nicht einmal Gott könnte dieses Schiff versenken.‘ “

Heute, ein knappes Vierteljahrhundert nach dem ersten Shuttle-Start, während die Raumfähren erst ein Drittel ihrer veranschlagten Nutzungszeit erreicht haben, steht die Nasa mit der Columbia-Tragödie vor dem Trümmerhaufen solcher Erwartungen. Die Frage ist indes nicht, ob es weitergeht, sondern, wie es weitergeht. Denn es muss weitergehen, und zwar möglichst schnell: Von Shuttle-Flügen hängen der Bau und die Versorgung der Internationalen Raumstation (ISS) ab. Und die ISS hat bereits 20 Milliarden Dollar gekostet – zu viel, um sie einfach aufzugeben.

Nasa-Probleme sind hausgemacht

Für die Nasa war das schon vor der Katastrophe vom Wochenende ein Dilemma. Seit Jahren kritisieren viele US-Raumfahrtexperten das Shuttle-Programm als ineffizient und gefährlich. Die Shuttle-Flotte verschlingt einen ansehnlichen Teil des Nasa-Budgets, jährlich etwa 4 Milliarden Dollar. Ein einziger Flug kostet mehr als 500 Millionen Dollar. Etwa 30.000 Leute arbeiten kontinuierlich daran, die komplizierteste Maschine der Welt mit ihren zweieinhalb Millionen Bauteilen und die wiederverwendbaren Startraketen zu warten und zu erneuern.

Dieser Aufwand zeichnete sich schon beim allerersten Start eines Spaceshuttles ab. Als die am Samstag explodierte Columbia am 12. April 1981 als erste Raumfähre ins All flog – nicht zufällig auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Flug des ersten Menschen in den Weltraum, des Russen Juri Gagarin –, gab es Probleme mit dem Hitzeschild. Das, was möglicherweise auch die Ursache der jetzigen Katastrophe war. Damals hatten sich beim Start einige der insgesamt 20.000 Keramikkacheln gelöst, 150 waren beschädigt worden.

Vor allem in den letzten Jahren mussten Missionen der Raumfähren wegen technischer Probleme immer wieder verschoben werden. Auch der Start der jetzt explodierten Columbia, der schon für Mitte letzten Jahres vorgesehen war, aber wegen Rissen in Treibstoffleitungen ausgesetzt wurde. Auch wenn Schuldzuweisungen bei der Katastrophe verfrüht sind, weil ihre Ursachen nicht feststehen – die Schwierigkeiten der Nasa sind zu einem gut Teil hausgemacht. Sparzwänge, Missmanagement und Kommunikationsprobleme waren die Gründe für viele der Raumfahrtunfälle der letzten zwei Jahrzehnte.

Sparzwänge und Schlamperei

So fehlte lange Zeit Geld für die Modernisierung der Shuttle-Computersysteme. Derweil wartet der Weltraumbahnhof in Cape Canaveral immer noch auf seine Renovierung. So etwa ist das Dach einer Halle, in der die Shuttles stehen, einsturzgefährdet. Die Entwicklung eines neuen wiederverwendbaren Raumtransporters wurde vor zwei Jahren abgebrochen, nachdem bereits eine Milliarde Dollar investiert worden waren. Ende 2001 wurde mit Sean O’Keefe erstmals ein Nasa-Chef eingesetzt, der nichts mit Raumfahrt zu tun hatte, sondern dem es vor allem ums Sparen ging.

Unabhängige Untersuchungskommissionen machten in den letzten Jahren wiederholt gravierende Kommunikationsmängel und Schlamperei bei der US-Raumfahrtbehörde aus. So hatten Techniker schon vor der Challenger-Katastrophe 1986 mehrfach auf mögliche Defekte an den Dichtungsringen der Antriebsraketen hingewiesen – Defekte, die die Explosion dann auch auslösten. Letzten April sagte Richard Blomberg, der Vorsitzende eines Komitees zur Untersuchung von Missständen in der Nasa, vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses: „Ich war noch nie besorgter um die Sicherheit der Spaceshuttles als jetzt.“ Mit einem neuen Start fast zwei Jahre zu warten, wie nach der Challenger-Katastrophe, kann sich die Nasa jedoch jetzt nicht mehr leisten. Die Astronauten der ISS sind zwar nicht in Gefahr und können noch bis Sommer auf der Raumstation ausharren, um dann in einer Sojus-Kapsel zur Erde zurückzukehren. Doch die Internationale Raumstation muss weitergebaut werden, damit sie nicht nur Millionen verschlingt, sondern auch irgendwann ihren Zweck als Forschungslabor erfüllen kann. Oder aber sie wird für die nächsten Jahre „eingemottet“, nur gelegentlich besucht von Astronauten, die sie auf eine höhere Umlaufbahn bringen. Das aber käme dann wohl einem zwischenzeitlichem Ende der bemannten Raumfahrt gleich.