Katzenjammer vor der Schlacht

DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER

„Es ist wie bei den Generälen: Wenn du ’nen Orden haben willst, brauchst du einen Krieg“

„We’ll cover only what they let us see.“ Richard Reeves, US-Kolumnist

Die US-amerikanische Presse möchte gern Krieg führen, so viel ist klar. Sie weiß auch grundsätzlich, gegen wen es gehen soll, gegen Saddam Hussein natürlich oder irgendwie gegen den Irak. Warum aber – darüber sind sich die Presseleute uneinig, und eigentlich wissen sie es auch nicht so genau. Bei aller Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen, fragen sie sich, was da auf sie zukommt und wie sie sich als Zeitungsleute verhalten sollen, wenn das Schlachtgetümmel erst einmal richtig losgegangen ist. Die Lage ist irgendwie anders, und ein bisschen unheimlich ist sie auch.

„Alles, was bisher seine Ordnung hatte, ist seltsam unwirklich geworden“, grübelt etwa Michael Getler von der Washington Post, und fügt hinzu: „Als Bürger und Nachrichtenmensch komme ich mir ziemlich unvorbereitet vor.“ Sein Kollege Phil Bronstein vom San Francisco Chronicle sinniert: „Wir haben doch eigentlich einen guten Job gemacht, aber es gibt eine Menge, was wir nicht wissen. Viele Fragen werden gestellt, aber sie werden nicht beantwortet.“ Und der Veteran David Halberstam knurrt: „Die haben alles im Griff. Es wäre verdammt notwendig, denen mal richtige Fragen zu stellen. Wenn man Vietnam in den Knochen hat, kann man sich überhaupt nicht wohl fühlen bei dem, was da kommen soll.“

Was ist bloß los mit den Presse-Guys da drüben? Das waren doch mal ganze Kerls. Halberstam berichtete als einer der Ersten für die New York Times aus Vietnam, und Bronstein hat stramme Reportagen über den Golfkrieg von 1991 geliefert. Überhaupt ist die amerikanische Presse die beste der Welt. Die Knaben, die da so kraftlos vor sich hin brüten, haben Pulitzer-Preise und wer weiß welche Trophäen sonst noch abgestaubt. Ist der Mumm raus, ist das alte Haudegen-Fieber vorbei? Wohl nicht ganz, denn man möchte schon gern wieder ganz vorne sein, aber man weiß nicht recht, wie. Früher fuhr man im Jeep einfach der kämpfenden Truppe hinterher, heute mutmaßen selbst die Routiniers, es könnte schwierig werden, das Schlachtfeld zu finden. Man fühlt sich „uneasy“, weiß aber nicht ganz genau, woran das liegt.

Die amerikanische Agentur Editor & Publisher hat Ende Januar unter den Kollegen mal herumgehört und die Ergebnisse im Internet veröffentlicht. Die Auskünfte sind niederschmetternd – jedenfalls aus der Sicht des Kunden, der zumindest Anspruch auf eine anständige Kriegsberichterstattung hat. Fast alle befragten Journalisten sind sich darin einig, dass schon die Vorkriegsphase ziemlich in die Hose gegangen ist. „Exceedingly difficult to cover“ – äußerst schwierig sei das alles, was da bisher abgelaufen ist, erst recht für Zeitungsschreiber, die sich ja auf alles einen Reim machen müssen. Howard Kurtz von der Washington Post wundert sich: „Diese vielen undichten Stellen, dieses ganze Geschnatter über Kriegspläne, Kriegstiming und wann losgeschlagen werden soll. Wir haben nicht mehr viel zu tun, außer Saddam eine E-Mail zu schicken, wenn es endlich so weit ist.“ Die alten Hasen sind konsterniert. „Die Nachrichten werden heute von smarten und durchtriebenen Burschen gemacht“, sagt Bronstein, „da blickt man nicht mehr durch.“ Bekümmert und etwas beleidigt fischt man im Trüben. „Wir müssen uns darauf einstellen“, hadert Howell Raines von der New York Times, „dass die Militärs nicht mehr besonders nett zu uns sind.“

Was ist da passiert? Früher wurde man gehätschelt, und man wurde gebraucht. Heute wird man noch immer gebraucht, aber man wird nicht mehr gehätschelt. Jeder weiß ziemlich genau, was von Rumsfelds Versprechen, die Presse diesmal besser zu behandeln und sie am Kriegspielen ein bissschen teilnehmen zu lassen, zu halten ist. Es wird so kommen wie gehabt: Die Guys, ob Pulitzer-Preisträger oder nicht, werden wieder in einen „Pool“ gesteckt, irgendwo kaserniert und in den abendlichen Pressekonferenzen von smarten Burschen mit Computerszenarien und Pentagon-Sülze abgespeist. Seit Jamie Sheas Galaauftritten im Kosovokrieg weiß man, welche Nahrung da einem zugemutet wird.

Für einige wenige aus der schreibenden Zunft ist die Welt noch in Ordnung. „Das sind die Leute“, sagt Richard Reeves vom Universal Press Syndicat, „die prinzipiell für Krieg sind. Krieg ist immer eine aufregende Geschichte, und als Journalist kann man Karriere machen. Es ist wie bei den Generälen: Wenn du ’nen Orden haben willst, brauchst du einen Krieg.“ Aber die meisten blicken missgelaunt in die Zeitungen, lesen voll Unbehagen ihre eigenen Artikel und räsonieren wie David Shaw von der Los Angeles Times: „Warum eigentlich Irak und nicht Nordkorea?“ Sie nörgeln über sich selbst und darüber, was sie in ihren Berichten alles ausgelassen haben: die Antikriegsbewegung im eigenen Land und in Europa, die gedrückte Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung, die Meinung anderer Staaten. Alles drehe sich nur um Washington, als werde im Weißen Haus jeden Morgen die Sonne angeknipst. Und ahnungsvoll brütet Bill Keller von der New York Times: „Es wäre gut, mal was über das ganze Schmierentheater zu schreiben, über die Schauspielerei, die da oben abgezogen wird.“

„Wir haben nicht mehr viel zu tun, außer Saddam eine E-Mail zu schicken, wenn es endlich so weit ist“

Aber warum tun sie es dann nicht? Warum sind sie so kleinlaut geworden, diese Stars des investigativen Journalismus, warum jammern sie über sich selbst, anstatt ihren Jammer, ihre Wut über die Lage der Nation in die Laptops zu hämmern? Könnte es daran liegen, dass die besten Zeitungshäuser der Welt – ohne es recht zu merken – seit einiger Zeit ins Fahrwasser der politischen Maschinerie geraten und längst ein Teil nicht nur der politischen Klasse, sondern des exekutiven Apparats geworden sind? „Die Journalisten lassen sich einlullen durch den politischen Konsens“, resigniert Howard Kurtz. „Wenn das Weiße Haus und der Kongress Krieg beschlossen haben, dann gibt es eben Krieg, basta.“

Berichterstatter, die hinter den Generälen hertrotten und sich allenfalls darüber ärgern, dass man ihnen nicht genau den Frontverlauf zeigt, dürfen sich nicht wundern, dass sie bei den eigenen Militärs ihr Ansehen verlieren. Man scheut sich, an Unangenehmes zu rühren. „Im Pentagon steht ein Computer, der rechnet ziemlich genau die amerikanischen Verluste im Fall einer Irakinvasion hoch“, sagt Arianna Huffington von den Tribune Media Services. „Das sind genau die Zahlen, über die kein Mensch redet.“ Aber warum redet keiner darüber? „Wenn es losgeht, werden wir nur über das berichten, was man uns zeigt, und nur das weitergeben, was man uns sagt“, klagt Reeves. Wenn es so ist, muss sich nicht nur etwas in den Köpfen, sondern im ganzen System verändert haben – nicht auf einen Schlag und auch nicht erst seit dem 11. September, sondern in einem schleichenden Prozess, der die demokratische Gewaltenteilung in den USA verschoben und die Redaktionen zu mehr oder weniger willfährigen Propagandakompanien des Pentagons umgemodelt hat. „Staatliche Zensur“, so der Kolumnist Norman Solomon, „kann man sehen und greifen. Selbstzensur ist schlimmer, sie läuft in Hinterzimmern und im Gehirnstübchen ab.“