Atari-Antiquitäten

Ausgerechnet in Kellogg’s-Packungen liegt derzeit eine Kollektion rarer Computerspiel-Klassiker auf CD-ROM bei

Zwischen Frühstücksflocken: ein Zeichen für den Umgang mit digitalem Kulturgut

In deutschen Supermärkten dürfte man wohl zurzeit in der Schlange an der Kasse gelegentlich Männer in ihrer Lebensmitte mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen und einer 600-Gramm-Schachtel Kellogg’s Smacks unter dem Arm treffen. Der Grund: Als Gimmick liegt den Frühstücksflocken eine CD-ROM mit einigen klassischen Videospielen der legendären Computerspiel-Firma Atari bei. Diese Games gehörten in den 70er-Jahren zu den größten Münzfresser-Erfolgen in den Spielhallen. Wer sie damals gespielt hat, dürfte sich wohl darüber freuen, die Spiele wiederzuentdecken, mit denen er vor gut drei Dekaden seine goldenen Jahre vertrödelt hat: Astroids, Super Breakout, Centipede, Tempest, Missile Command und Pong.

Pong war das Spiel, mit dem die Computerspielindustrie vor mehr als dreißig Jahren ihren Anfang nahm: ein simples Tennisspiel, bei dem man einen weißen Strich zwischen zwei anderen Strichen auf dem Monitor hin und her schlagen musste. Die Legende will es, dass Atari-Gründer Nolan Bushnell den Apparat im Schlafzimmer seiner Tochter zusammengebastelt hat. Weil keine der Münzspielfirmen sein Spiel vertreiben wollte, machte er sich selbstständig und wurde in kürzester Zeit zum Millionär. Atari, schnell ein börsennotiertes Unternehmen, brachte in den 70er-Jahren einen genreprägenden Klassiker nach dem anderen auf den Markt: zuerst für die Arkaden, später auch für die ersten Heimspielkonsolen. Auf diesen CD-ROMs sind sie in liebevoll aufbereiteten Originalversionen zu finden; außerdem gibt es ein langes Videointerview mit Nolan Bushnell und Bilder von Postern, Konsolen und Werbematerial. Eine richtig historische Aufarbeitung also.

Heute sind die Spiele „kultig“, wie uns der Werbetext auf der Packung wissen lässt, und in der Tat: Im Lay-out von Trendzeitschriften oder bei Videos auf MTV wird immer wieder auf die Simpel-Ästhetik der frühen Games Bezug genommen. Spiele wie Tempest oder Astroids sind Meisterwerke minimalistischer Gestaltung und faszinierende Beispiele für das ebenso schlichte wie eindrucksvolle Design der ersten digitalen Medien. Die Spiele, die auf dieser CD-ROM gesammelt sind, haben in der Geschichte des Videospiels eine vergleichbare Bedeutung wie die Filme der Gebrüder Lumière oder George Méliès in der Geschichte des Kinos.

Ähnlich wie bei der elektronischen Tanzmusik der Gegenwart, die unter dem Label Electroclash läuft, historisieren auch diese popkulturellen Referenzen auf die Frühzeit der Videospiele die digitale Medienkultur der letzten Jahrzehnte. Und es ist ironisch, dass man ausgerechnet eine Packung pappsüßer Smacks kaufen muss, um diese kleinen Wunderwerke wieder sehen zu können. Die CD-ROM Arcade Hits war vor einigen Jahren schon einmal im Handel zu haben; nun ist sie ins Reich der deutschen Beigabenverordnung abgesunken.

So ist Arcade Hits auch ein Beispiel dafür, wie die internationale „Rechteindustrie“ mit dem geistigen Eigentum umgeht, das sie in ihren Archiven hortet. Dieselben Medienunternehmen, die einen aussichtslosen Kampf gegen den Tausch von Musik im Internet bei Filesharing-Börsen wie Kazaa führen, machen aus Angst um ihre Copyrights auch die ersten Computerspiele so schwer zugänglich wie nur möglich.

Alle diese Spiele sind zwar auch im Internet auf obskuren Websites zu finden. Doch wer sie herunterlädt oder gar anbietet, tut etwas Illegales. Und die Rechteinhaber machen mit Anwälten und Gerichtsverfahren Jagd auf diese „Produktpiraten“ – obwohl die eigentlich nichts anderes tun, als digitales Kulturgut aus einer eben erst vergangenen Zeit zugänglich zu halten.

Wer noch einmal das seltsame, cartesianische Zauberreich von Tempest oder den zweidimensionalen Weltraum von Astroids sehen und bespielen will, ist also darauf angewiesen, dass im nächsten Supermarkt noch nicht die neueste Lieferung Kellogg’s Smacks eingetroffen ist. Die enthält nämlich nur noch öde Sammelbildchen aus der Verfilmung vom „Herrn der Ringe“. TILMAN BAUMGÄRTEL