Rürup rudert rückwärts

Kommissionschef will Teilergebnisse zur Gesundheitsreform möglicherweise schon im Frühjahr vorlegen. „Hüftschüsse“ werde es mit ihm aber nicht geben

Mit dem neuenZeitplan kommtRürup dem Kanzleramt entgegen

BERLIN taz ■ Vielleicht erfährt die Öffentlichkeit ja heute endlich, wie sie sich den Zeit- und Aktionsplan für die anstehenden Gesundheitsreformen vorzustellen hat. Denn heute trifft sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) mit der Rürup-Kommission, genauer gesagt: mit den 15 Mitgliedern der Arbeitsgruppe Gesundheit.

Dann soll nach wochenlangem Hickhack und SPD-Kommunikationsunfällen bekannt gegeben werden, wie die versprochene „Verzahnung“ von Schmidts und Rürups Konzepten aussieht. Die AG Gesundheit unter dem Vorsitz des Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach und des Berliner Volkswirtschaftlers Gert Wagner tritt heute zum ersten Mal überhaupt zusammen.

Kommissionschef Bert Rürup signalisierte gestern, dass die Vorschläge zum Bereich Gesundheit schon im Frühjahr vorliegen könnten. Es werde jedoch keinen „Hüftschuss“ geben, sagte er: „Qualität geht vor Zeit.“ Damit kam er dem Drängen von Kanzleramt und SPD-Generalsekretär Olaf Scholz entgegen, die so viele Reformpläne wie möglich noch vor der Sommerpause auf dem Tisch liegen haben wollen.

Voraussichtlich wird es jedoch bei der Aufgabenteilung bleiben, die noch vor den wahlbedingten Hitzewallungen in der Regierung vereinbart wurde: Schmidt legt in den kommenden Tagen ihre „Eckpunkte“ zur Strukturreform vor. Diese wird sich mit der Ausgabenseite des Gesundheitswesens befassen und soll Effizienzreserven erschließen. Prominentester Vorschlag ist hier, die Stellung des Hausarztes so zu stärken, dass er für die Patienten zum „Lotsen“ wird. Die Krankenkassen sollen wiederum die Möglichkeit haben, Sondertarife für Versicherte einzuführen, die sich an das „Hausarzt-zuerst-Prinzip“ halten. Bis zum März oder April wird dann dazu auch ein Gesetzentwurf erarbeitet.

Bis dahin wird Schmidt außerdem – neben der Rürup-Kommission – Pläne schmieden, wie die Einnahmenseite des Systems reformiert werden soll. Hier hinein gehören auch die Ende Februar erwarteten Vorschläge des Sachverständigenrates, der bis zur Einsetzung der Rürup-Kommission das tonangebende Gesundheitsgremium war. Bei Rot-Grün und Gewerkschaften besonders umstrittener Punkt ist dabei zum Beispiel, ob außer dem Arbeitslohn auch andere Einkommensarten, also etwa Miet- und Zinseinkünfte, zur Erhebung von Kassenbeiträgen herangezogen werden sollen.

Damit wäre das hundert Jahre alte Prinzip der paritätischen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer faktisch durchbrochen. Möglicherweise liegt jedoch genau darin eine Chance, entsprechende Gesetze nach der Sommerpause zusammen mit der Opposition zu verabschieden. Denn ohne einen Kompromiss mit der Union läuft bei so weit reichenden Reformen überhaupt nichts. Und die Union hat zuletzt in einem gestern veröffentlichten Grundsatzpapier verlangt, dass der Arbeitgeberanteil an der gesetzlichen Krankenversicherung „festgeschrieben“, also auf derzeitigem Niveau eingefroren werden soll.

Die Autoren Andreas Storm und Annette Widmann-Mauz verlangen in dem für die Unionsklausur am kommenden Wochenende verfassten Papier außerdem, sämtliche Zahnbehandlungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen. Allein dadurch, behaupten sie, „könnte der Beitragssatz insgesamt um bis zu 1,1 Prozentpunkte gesenkt werden“.ULRIKE WINKELMANN