berliner szenen Kälteimpressionen

Zugehörigkeitsgefühle

Das Eis auf dem künstlichen See am Potsdamer Platz ist butterbrotdick, das Thermometer draußen vor der Apotheke zeigt zwei Grad minus an. Saubere Werte sind das, wie jedes Jahr, wenn die Berlinale startet, dazu schneidender Wind aus Nordost. Die Legende will es so, dass Anfang Februar hier als die kälteste Jahreszeit gilt, das verfluchte Wetter gehörte zu den kleinen Ärgernissen rund ums Filmfest, darüber schreiben New Yorker Journalisten dann launige Kolumnen für ihre Heimatzeitungen. Aber es funktioniert: Schon fühlt man sich selbst ganz grippekrank, horcht ängstlich auf, wenn andere husten, und lässt sich von den Kollegen erzählen, dass die Vitaminpillen, die man täglich schluckt, nicht viel bringen, es muss schon Echtobst sein – und weniger Kaffee.

Die gefühlte Kälte ist das eine. Wie aber reagiert der Rest der Wahrnehmungen darauf, dass die Stadt friert? Fahren die Autos nicht deutlich schneller am Kulturforum vorbei? Bricht sich das Grau des Himmels nicht tiefer in den Scheiben der Nationalgalerie, so dass die Spiegelung fast die verschachtelten farbigen Neonröhren von Keith Sonnier übertönt? Riecht der Döner nebenan nicht plötzlich weniger nach Fett, vielleicht sogar etwas nussig durch die verschnupfte Nase? Dazu kommt noch der Frost in den Ohren, durch den jedes Kindergeplärre ungeheuer spitz schrillt, während in den tieferen Frequenzen unentwegt die Kälte grummelt.Völlig eingefangen vom Winter wird man so eins mit der Stadt, spürt, wie der eigene Körper sich in die Tristesse fügt, die ihn umgibt. Manche Menschen wollen sofort wegziehen, wenn sie das erste Mal die Kälte von Berlin erleben. Ich fluche und fühle mich wohl, weil ich an Tagen wie diesen weiß, dass ich dazugehöre. HARALD FRICKE