Touristische Wanderarbeiter

Mit einem „Working Holiday Visum“ für maximal ein Jahr durch Australien. Abenteuer Arbeit unter Backpackern aus aller Welt und Jobs vom lassowerfenden Jackeroo bis zum Schwimmlehrer

von JULIA REICHARDT

Boardriders Backpackers, eine Jugendherberge in Manly, am gegenüber liegenden Ufer von Sydney. Es ist sechs Uhr morgens. Sonnenaufgang. Der Horizont brennt in leuchtendem Rotorange. Die ersten Surfer kehren in die Herberge zurück, wechseln Neoprenanzug und Flossen gegen Blaumann und Arbeitsstiefel. Wie die übrigen Weltenbummler hier haben sie ihre Rucksäcke vorübergehend abgeschnallt, nur so lange, bis sie genügend australische Dollar beisammenhaben, um weiterreisen zu können, ans Great Barrier Reef – in den Norden des Landes, ins Outback – zum bekanntesten Heiligtum der Aborigines, dem farbenwechselnden Uluru (Ayer’s Rock). Oder ganz weg von den Touristenströmen, an die spärlich besiedelte Westküste, wo sich Australien noch in seiner ungezähmten Wildnis zeigt.

Working Holiday, so nennt sich diese neue Art, zu reisen, die das Angenehme mit dem Unangenehmen verbindet. Seit Juni 2000 können junge Deutsche zwischen 18 und 30 Jahren mit dem Working Holiday Visum für maximal ein Jahr den fünften Kontinent erkunden und dabei zugleich ihre Reisekasse aufstocken. Damit das Reisen der Schwerpunkt des Aufenthalts bleibt, darf maximal drei Monate bei einem Arbeitgeber gearbeitet werden. Der Anklang auf deutscher Seite ist groß: „Ungefähr zehntausend junge Deutsche haben im letzten Jahr ein Working Holiday Visum beantragt“, sagt Günter Schlothauer von der australischen Botschaft in Berlin. Das Interesse auf australischer Seite hält sich dagegen in Grenzen. Nicht mehr als mehrere hundert Anträge gingen im vergangenen Jahr bei den deutschen Konsulaten in Australien ein. Gute Englischkenntnisse und eine gehörige Portion an Eigeninitiative sind für einen gelungenen Ferienarbeitsaufenthalt unentbehrlich, schließlich hat Australien selbst mit einer Arbeitslosenquote von mehr als sechs Prozent zu kämpfen. Hinzu kommen jährlich weitere tausend Rucksacktouristen aus Kanada, Südafrika, Neuseeland, alle mit Working Holiday Visum in der Tasche und – ihren deutschen Mitstreitern voraus – mit Englisch als Muttersprache.

„Wer glaubt, hier in kurzer Zeit eine Menge Geld zu verdienen, der sollte lieber zu Hause bleiben und dort für die Reise sparen“, rät Luke, ein Surfer aus Südafrika, der selbst einen guten Job in einem Verlag in Capetown gekündigt hat und jetzt in Manly auf dem Bau arbeitet. „Mir geht es vor allem um die Erfahrung“, sagt er. „Du machst hier Jobs, die du zu Hause nie machen würdest. Das Schöne dabei ist, dass du oft mit Backpackern aus aller Welt zusammenarbeitest, zusammenlebst und gemeinsam weiterreist.“

Arbeiten als Teil des Abenteuers also, und abenteuerlich sind einige Jobs allemal. Lena aus Berlin zog mit einem Bauchladen durch die Vororte Sydneys. „Ich habe Taschenrechner und Werkzeug verkauft, Sachen, die du sonst als Werbegeschenk hinterhergeschmissen bekommst“, sagt sie. Dabei musste sich die 27-Jährige mit abgeschlossenem Germanistikstudium als Mitglied einer Wohlfahrtsorganisation ausgeben; Poster mit Fotos querschnittgelähmter Unfallopfer sollten das nötige Mitleid erwecken. „Natürlich ging nur ein Bruchteil der Spenden an die Organisation“, sagt Lena. Jetzt arbeitet sie im Boardrider als Reinemachfrau und an der Rezeption. Ihre Versuche, als Sprachlehrerin Arbeit zu finden, scheiterten bisher. „Viele Schulen waren zuerst sehr interessiert“, erzählt sie. „Das legte sich aber, als sie hörten, was für ein Visum ich habe. Für nur drei Monate will niemand eine Sprachlehrerin engagieren.“

Sarah aus Brighton dagegen hatte mehr Glück. Sie konnte ihre Leidenschaft für ein Jahr zum Beruf machen. Als Schwimmlehrerin und Bademeisterin verdient sie sich an Australiens Stränden ihr Brot. Wer von Strand- und Stadtleben genug hat und stattdessen im Landesinnern zu Geld zu kommen versuchen will, der kann sich im Outback zum Jackeroo oder zur Jackerill – den australischen Varianten des amerikanischen Cowboys/ Cowgirls – ausbilden lassen. Gegen Bezahlung bieten diverse Farms Reitunterricht an und geben Nachhilfe in Lassowerfen, Melken und Viehzucht, bevor es im (Schafs-)Galopp durch die rote Steppe Australiens geht. Abenteuerlich sind oft auch die Bedingungen, unter denen die Rucksackreisenden arbeiten. Nicht selten wird ihre notorische Geldnot ausgenutzt, und es gibt minimale Stundenlöhne für schwere körperliche Arbeit. Shane aus Neuseeland wartet bereits seit Tagen auf seinen Lohn. Tania aus Bielefeld hatte Pech bei ihrer Arbeit als Erntehelferin auf den Weinfeldern in New South Wales. „Was ich und was der Farmer unter einem vollen Eimer verstanden, dazwischen lagen Welten.“

Eine zentrale Rolle für die jungen Wanderarbeiter spielen die unzähligen Backpacker, die moderne Variante der guten alten Jugendherberge. Hier kann man wie Lena ganztags Arbeit finden oder sich nur freie Logis verdienen, indem man morgens und abends zum Putzen antritt. Hier treffen auch die Jobangebote aus der Umgebung ein, per Fax oder Aushang am schwarzen Brett. Ab und an kommt der Arbeitgeber persönlich vorbei und sucht sich spontan Helfer. Vor allem bieten die Backpacker aber Familienersatz. „Es lohnt sich nicht, sich für so kurze Zeit eine Wohnung zu suchen“, sagt Hannah aus Schweden, die bereits seit zwei Monaten im Boardrider wohnt und schon zum Kern der ständig wechselnden Großfamilie zählt.

Abends, nach der Arbeit, sitzen alle beisammen auf dem Dach vom Boardrider beim Barbecue und zählen, wie viele Tage sie noch arbeiten müssen, um sich eines der grell bemalten, klapprigen Autos leisten zu können, die zu Dutzenden am schwarzen Brett zum Verkauf stehen, und endlich Jack Kerouac nacheifern zu können: On the road – in Australien. Verträumt blicken ihre Gesichter dabei in Richtung Manly Beach, auf den glühenden Feuerball, der allmählich wieder im Ozean verschwindet. „Psssst, flüstert Hannah mir ins Ohr, man soll es angeblich laut zischen hören, wenn die Sonne in den Ozean taucht. Hörst du es?“

Informationen zum Working Holiday Visum gibt es unter info@australian-embassy.de oder: Australische Botschaft, Friedrichstr. 200, 10117 Berlin