: Jung, Mutter und Bootsbauerin
Junge Eltern können ihre Ausbildung in Teilzeit absolvieren – theoretisch zumindest. Denn Betriebe nutzen die Möglichkeit bisher kaum. Lehrstellen mit verkürzter Arbeitszeit bieten fast nur freie Träger an. Dabei erhöht eine abgeschlossene Berufsausbildung die Chancen auf einen Arbeitsplatz enorm
VON FRANKA NAGEL
Mit einer Schleifmaschine glättet Melanie die Kanten eines Kinderstuhls. Das Kreischen zieht sich quer durch die mittelgroße Halle. Ein Dutzend junger Frauen steht an den Werkbänken. Einige bauen an einem Weinflaschenständer, andere basteln an Holztruhen, weiter hinten leimen zwei Frauen das Skelett eines halbfertigen Bootes. Sie alle sind Mütter geworden, bevor sie eine Ausbildung abschließen konnten. Deswegen sind sie hier. In der Werkstatt des Vereins „Land in Sicht – Ausbildungsprojekte“ (LiSA) absolvieren sie eine Lehre zur Tischlerin oder Bootsbauerin – in Teilzeit.
Der Arbeitstag endet hier schon nach sechs Stunden und nicht erst nach acht. Dafür dauert die Lehre insgesamt ein halbes Jahr länger als normalerweise. „Ein Acht-Stunden-Tag ist mit Kind kaum zu schaffen, wenn man alleinerziehend ist“, sagt die 24-jährige Heide, die hier Bootsbauerin lernt. Deshalb sei es fast unmöglich, überhaupt eine Lehrstelle zu bekommen. „Viele Ausbilder haben Vorbehalte Müttern gegenüber“, erzählt Heide. In Vorstellungsgesprächen sei oft zuerst die Frage gekommen, was sie mit ihrem Sohn machen wolle, wenn er krank werde oder sie mal Überstunden machen müsse. Die junge Frau war schon früh nach der Geburt alleinerziehend, auch ihre Eltern hätten nicht einspringen können. Sie konnte keine beruhigenden Antworten geben.
Melanie, die bei LiSA Tischlerin werden möchte, bekam mit 18 Jahren ihr erstes Kind, ungeplant. Sie bewarb sich für Ausbildungsplätze als Büro- und Einzelhandelskauffrau. „Aber ich bekam eine Absage nach der anderen“, erzählt sie. Die Jahre vergingen, ein neuer Freund kam und zwei weitere Kinder. Gelebt hat sie von Hartz IV und Kindergeld. Die Hoffnung, noch eine Ausbildung abschließen zu können, hatte sie schon aufgegeben.
Heide und Melanie sind keine Einzelfälle. In Berlin leben über 30.000 Mütter und Väter, die jünger als 25 Jahre sind. Laut einer Senatsstudie hat mehr als die Hälfte von ihnen – oft trotz guter Schulabschlüsse – keine abgeschlossene Berufsausbildung und bezieht Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld. „Es gibt massiven Ausbildungsbedarf für junge Eltern“, bilanziert Martina Battistini, Mitverfasserin der Studie.
In der freien Wirtschaft sind solche Teilzeitausbildungen bisher kaum bekannt – die Industrie- und Handelskammer Berlin weiß gerade mal von zwei betrieblichen Lehrstellen in der Stadt. Offenbar wissen selbst viele Betroffene nicht von der Möglichkeit. „Die Frage nach Teilzeitausbildungen kam bei uns bisher einfach noch nicht auf“, sagt Thoms Bruse, der bei Siemens die Azubi-Bewerbungen abwickelt. „Wir haben keinen Bedarf bei den jungen Frauen festgestellt.“ Es gebe aber mehrere Auszubildende, die Vollzeit bei Siemens lernen, obwohl sie Kinder haben. „Die Mütter, die wir in Ausbildung haben, haben Hilfe von Verwandten, meistens den Großeltern der Kinder. Und oft steht ein engagierter Partner im Hintergrund“, so Bruse.
Die Teilzeitausbildungsplätze in Berlin werden zumeist von gemeinnützigen Trägern wie LiSA angeboten. Finanziert werden sie von einigen JobCentern und Jugendämtern. Sie sind für sogenannte benachteiligte junge Frauen – mit problematischem familiären Hintergrund oder schwieriger Vergangenheit – gedacht. „Normale Mütter fallen oft in der Mitte durch“, erzählt Doreen Märten, Sozialpädagogin bei LiSA. Die Mütter seien zumeist keine sozialen Problemfälle, nicht drogenabhängig oder straffällig. Sie seien schlicht durch ihr Kind benachteiligt, wenn es um die Suche nach einer Lehrstelle geht.
„In der Zeit, in der sie bei mir in der Werkstatt sind, können Mütter dasselbe leisten wie Frauen oder Männer ohne Kinder“, sagt Bernd Klenke, Bootbaumeister bei LiSA. Ein Problem seien jedoch die vielen Fehlzeiten, durch die die Azubis in Rückstand gerieten. „Wenn die Kinder krank sind, summieren sich schnell die Fehltage der Eltern“, sagt der Ausbilder. Das sei selbst bei LiSA problematisch: „Man muss stark darauf achten, die Balance zwischen dem Verständnis für die schwierige Situation der oft alleinerziehenden Mütter und einem geregelten Ausbildungsalltag zu halten.“
Melanies Tag beginnt unter der Woche um 5.20 Uhr. 40 Minuten vor den Kindern steht sie auf – „damit ich noch ein bisschen Zeit für mich alleine habe, bevor der Tag losgeht“, wie sie sagt. Häufig sind diese 40 Minuten und die kurzen Raucherpausen vor der Werkstatt die einzige Zeit, in der Melanie nichts tun muss. Keine Kinder, keine Ausbildung, kein Haushalt. „Abends bin ich oft so müde, dass ich mit den Kindern ins Bett falle“, erzählt Melanie. Tischlerin war nie ihr Traumberuf. „Aber es ist gut, ein Ziel zu haben. Diese Ausbildung will ich nun zu Ende bringen“, sagt die zierliche Frau. „Auch wenn es viel Kraft kostet.“ Was danach kommt, daran denkt sie erst mal nicht. „Auf dem Arbeitsmarkt wird es auch nicht einfach“, weiß die Sozialpädagogin Märten. Das Wichtigste aber sei eine abgeschlossene Ausbildung. „Allein das verbessert die Perspektiven enorm.“ Ob das für die Mütter Realität wird, ist offen. LiSA bietet die Teilzeitlehre erst seit 2006 an, beendet hat sie noch niemand.
Um 15.30 Uhr ist Feierabend. Melanie nimmt den nächsten Bus zur Kita. „Das ist oft hart“, erzählt sie. „Nach der Arbeit hätte ich gerne ein paar Minuten Zeit zum Ausruhen.“ Dann fühlt Melanie, dass sie mit den Kindern ganz alleine ist. „Doch wenn die Kinder nach der Kita in meine Arme rennen, dann ist es das wert. Und ich weiß genau, wofür ich das alles tue“, sagt sie. „Ich will für sie ein Vorbild und eine gute Mutter sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen