„Wir brauchen mehr Geld für arme Regionen“

Der Grüne Rainder Steenblock befürchtet, dass Berlin eine Renationalisierung der EU-Strukturförderung will

taz: Herr Steenblock, es scheint als habe die rot-grüne Regierung ihr Herz für Osteuropa entdeckt. In einem Eckpunktepapier tritt sie dafür ein, dass die Milliarden aus den EU-Strukturfonds künftig nicht mehr nach Brandenburg und Sachsen, sondern nach Polen und Lettland gehen.

Rainder Steenblock: Es ist natürlich richtig, dass die osteuropäischen Regionen in Zukunft den Löwenanteil der EU-Förderung erhalten. Schließlich geht es den Menschen dort schlechter als den Ostdeutschen. Richtig ist aber auch, dass die neuen Bundesländer Übergangsfristen brauchen. Dass sie nicht von heute auf morgen aus der Förderung herausfallen können, falls sie die Kriterien nicht mehr erfüllen. Da haben wir Grüne mit dem Finanzministerium, aus dem das Eckpunktepapier stammt, noch Diskussionsbedarf. Es muss jetzt die grundsätzliche Frage beantwortet werden, wie viel Geld künftig für die Strukturfonds zur Verfügung stehen soll. Das Ministerium will eine Absenkung, die Grünen sagen, dass wir mehr Geld brauchen, weil es nach der Osterweiterung mehr Menschen in armen Regionen gibt.

Wird Ostdeutschland jetzt nicht das Opfer der Euro-Stabilitätskriterien? Um sie einzuhalten, muss die Bundesregierung sparen, wo es geht.

Ich glaube nicht, dass das Haushaltsdefizit der Grund für die Sparvorschläge sind. Es geht darum, dass der größte EU-Nettozahler Deutschland nach der Osterweiterung nicht noch mehr für die EU zahlen will.

Ostdeutschland braucht Geld, Osteuropa auch, aber Berlin will nicht mehr nach Brüssel überweisen. Gibt es einen Ausweg?

Vielleicht kann man ja zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Natürlich war die EU-Förderung für Ostdeutschland wichtig, sonst wäre die Arbeitslosigkeit dort noch höher. Es wurden aber auch Großprojekte zum Beispiel in der Infrastruktur gefördert, was die Grünen nicht für sinnvoll halten. Stattdessen sollte das Prinzip der Nachhaltigkeit die Förderrichtlinien bestimmen. Und man muss die Zahl der Fördertöpfe verringern, das System also durchschaubarer machen. So könnte man die Strukturfonds und den Agrartopf, aus dem die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert wird, zusammenführen.

Bundeskanzler Schröder gilt nicht gerade als glühender EU-Anhänger. Ist das Ziel der jetzigen Vorschläge eine Renationalisierung der Förderung?

Da Ostdeutschland bisher viel Geld aus Brüssel erhielt, hat die Bundesregierung eine Renationalisierung abgelehnt. Doch mit der Osterweiterung werden die neuen Bundesländer wahrscheinlich aus der EU-Förderung weitgehend herausfallen. Daher könnte sich nun auch die Haltung der Bundesregierung ändern. Denn wenn man als Kriterium für die Förderung nicht länger das regionale, sondern das nationale Bruttoinlandsprodukt verwendet, erhalten zahlreiche Staaten – Deutschland, aber auch Spanien – kein Geld mehr aus den EU-Töpfen. Dadurch würde sich die Summe, die Berlin nach Brüssel überweisen muss, verringern. Vor den nächsten Landtagswahlen im Osten wird aber wohl nichts passieren. Bei einer Renationalisierung der Förderung wären die neuen Bundesländer schließlich völlig von Berlin abhängig. Die Bündnisgrünen sind gegen eine Renationalisierung. In der EU haben die Regionen immer eine besondere Rolle gespielt, und das soll auch so bleiben.

Die Reichtumsunterschiede zwischen der künfigen EU-West und der EU-Ost sind so groß, dass es sinnvoll sein könnte, unterschiedliche Förderkriterien anzuwenden.

Es gibt bei der Europäischen Union tatsächlich eine solche Debatte. Soll man arme Regionen in reichen Ländern anders fördern als reiche Gebiete in armen Staaten? Ich lehne das ab. Denn es würde nur zu einer Flut neuer Vorschriften führen. Wir brauchen bei der EU-Strukturpolitik aber das Gegenteil: mehr Klarheit.

Wer verhindert denn bisher diese Klarheit?

Blockierer finden sich sowohl in Brüssel wie auch in den Mitgliedstaaten. Denn viele Arbeitsplätze hängen von der Verwaltung der Strukturfonds ab. Eine Vereinfachung der Förderung würde auch zur Verschlankung der Bürokratie führen. Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht zu einer Blockadekoalition zwischen der Kommission und den Empfängerländern kommt.“

INTERVIEW: SABINE HERRE