Gemeinschaftliche Mordlust

Schüler forscht Ex-Nazi aus: Das Jugendstück „Der Musterschüler“ auf Kampnagel macht Grauen fühlbar

Spätestens seit Benignis Film Das Leben ist schön weiß der Zuschauer, wie tief Lachen erschüttern kann. Und so steckt auch in den federleichtesten Szenen von Der Musterschüler das größte Potenzial, Grauen fühlbar zu machen. Der Intellekt, der so leicht angesichts von Zahlen und grauenhaften Fakten Unvorstellbarkeit attestiert, wird umgangen.

In dem Stück, das jetzt auf Kampnagel Premiere hatte, lädt der Tod zum Tanz. Der als harmloser Opa getarnte Ex-SSler, mit 700.000 Juden auf dem Gewissen, tänzelt leichtfüßig über die Bühne. Ein gespenstischer Kommentar zur Albtraumschilderung des Schülers Todd. Der Krückstock wird Säbel, Marschallstab und Gewehr, und die Zitate über Verstümmelte und Massakrierte bekommen plötzlich Farbe.

Die Inszenierung von Martina von Boxen, eine Koproduktion der Theaterwerkstatt Hannover mit dem Hamburger Theater Triebwerk, balanciert sicher auf dem Grat zwischen solchen verdichteten Momenten, realistischen und stilisierten Spielszenen sowie Kommentarebenen bis hin zu Slapstickhaftem.

Als Vorlage dient eine Novelle von Stephen King, von Erik Schäffler erstmals für die Bühne bearbeitet, für Jugendliche ab 14 Jahre. Fern von Betroffenheitsnummern entwickeln Michael Habelitz als Altnazi und Erik Schäffler als anfangs 15-jähriger Todd ihr Spiel. Aus naivem Interesse heraus forscht der Junge den Alten aus, erpresst ihn zum Erzählen. Bis der ihn seinerseits in seiner Macht hat.

Schließlich mündet der gegenseitige Druck bei beiden in Mordlust, sie werden zu Seelenverwandten. Dabei immer einfühlsam und atmosphärisch dicht musikalisch kommentiert von Uwe Schade am Cello und Heino Sellhorn am Bass. Beide übernehmen auch immer wieder Texte, wenn, der Romanbasis folgend, weitere Figuren nötig sind. Zwischen KZ-Zaun-artigen Pfosten am Bühnenrand entwickelt sich im Lauf des Stücks eine Welt der Gewalt, die immer schärfere Züge annimmt. Die Verführungskraft von Macht übertönt schließlich alles. Der Abstand von Mordphantasien zur Ausführung wird immer kleiner. Das Verhängnisvolle an Todd sei, wie der Alte sagt, dass der sich „niemals Gedanken macht, was er in Bewegung setzt“. So wie er den „Schlächter von Patin“ aus seinem Lebensabend aufgeschreckt hat, ohne Folgen zu kalkulieren, pirscht er schließlich mit einem Gewehr an die Autobahn.

Oliver Törner

noch bis 13. Februar auf Kampnagel