der koch, der richter und die mädchen von RALF SOTSCHECK
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Er solle verschwinden und erst dann zurückkehren, wenn er anständig angezogen sei, sagte der irische Richter Michael Patwell zum Anwalt der Verteidigung, Colm Allen. Der war nicht etwa in zerfetzten Jeans oder gar nackt erschienen, sondern trug – weder schwarze Robe noch Perücke. „Ich bin schwer beleidigt, dass sie in mein Bezirksgericht hereingewalzt kommen und nicht die gleiche Bekleidung tragen wie vor einem höheren Gericht“, wetterte Patwell. „Ich verschiebe den Fall auf den späten Nachmittag.“

Das sei nicht so einfach, antwortete Allen. Er sei aus Dublin nach Cork angereist und habe nicht an seine Garderobe gedacht. „Ich bin auch von zu Hause angereist und habe meine Robe mitgebracht“, schnaubte der Richter. Aber der Präsident der Bezirksgerichte habe doch entschieden, wandte Allen ein, dass Anwälte außerhalb von Dublin ohne Robe auftreten dürfen. „Hier bin ich der Präsident“, sagte Patwell ungerührt. Nun griff Allens Kollege David O’Leary ein: Er sei auch schon mal ohne Robe vor Patwell erschienen. Patwell lenkte ein und sagte zu Allen: „Na, tun wir so, als seien Sie hier im Urlaub.“

Die Diskussion um die Garderobe des Anwalts dauerte zwölf Minuten. Nur halb so lange redete man über die fehlende Garderobe der kleinen Mädchen, deren Fotos Allens Mandant, sein Namensvetter Tim Allen, aus dem Internet heruntergeladen hatte. Tim Allen und seine Frau Darina sind Fernsehköche, ihnen gehört die „Ballymaloe Cookery School“, die berühmteste Kochschule Irlands. Tim Allen ist geschnappt worden, weil er für die Kinderpornografie im Internet mit Kreditkarte bezahlt hatte, das FBI gab die Beweise an die irischen Behörden weiter.

Die wollte Richter Patwell aber gar nicht sehen. „Ich habe keine besondere Lust, mir die Bilder anzuschauen“, sagte er. Erst als Anwalt Allen darauf bestand, sein Klient Allen habe ein Recht darauf, dass der Richter sich die harmlosen Fotos ansehe, blätterte der Richter ein bisschen in dem Aktenordner, der tausend Bilder von nackten Mädchen zwischen fünf und zwölf Jahren enthielt.

Bald werde es keine Aktenordner mehr geben, die Gerichte werden elektronisch ausgerüstet sein, sinnierte der Richter, aber bis dahin werde er wohl pensioniert sein. „Ich auch“, krähte Anwalt Allen, und für einen Augenblick sah es so aus, als ob die beiden gemeinsame Pläne für ihr Rentnerdasein schmieden wollten. Dann argumentierte der Anwalt, dass sein Klient gar nicht viel Zeit darauf verwendet habe, sich die Fotos anzuschauen: „Er hat länger gebraucht, die Fotos herunterzuladen, als sie zu betrachten.“

Das überzeugte den Richter offenbar. Tim Allen muss ein paar gemeinnützige Arbeiten verrichten und 40.000 Euro an eine Wohltätigkeitsorganisation entrichten, die sich um Straßenkinder in Kalkutta kümmert. Das zahlt er aus der Portokasse. Hängt das milde Urteil vielleicht mit der Tatsache zusammen, dass demnächst ein anderer Richter wegen der gleichen Sache wie Tim Allen vor Gericht gestellt wird? Wenigstens muss der als Angeklagter keine Robe oder Perücke tragen.