DJ sorgt für einen wahrhaft großen Moment

Mensch Garri Kasparow spielt gegen Computer Deep Junior am Ende wie ein Hasenfuß. Das reicht aber zu einem 3:3

BERLIN taz ■ Die Zweifel krochen durch die grauen Zellen von Garri Kasparow. Die Angst, wie 1997 gegen den IBM-Großrechner Deep Blue zu verlieren, konnte das Schach-Genie aus Moskau nicht aus seinen Gehirnwindungen vertreiben. Gegen einen Kontrahenten aus Fleisch und Blut hätte der Weltranglistenerste unbarmherzig auf Gewinn gespielt, wie er später selbst einräumte. Stattdessen offerierte der sonst so aggressive Kasparow wie ein Hasenfuß den Programmierern von Deep Junior nach dem 23. Zug ein Remis. Die Israelis Amir Ban und Shay Bushinsky lehnten erst ab. Ihr Kontrahent schüttelte erbost den Kopf, ehe den Menschen hinter dem Computer-Weltmeister nach weiteren fünf Zügen doch mulmig wurde und sie den Friedensschluss anboten. Zum Entsetzen der Großmeister im New Yorker Athletic Club akzeptierte der Russe, obwohl er mit einem Springer und zwei Bauern für einen Turm vorteilhaft stand.

3:3 endete damit die Computer-WM des Schach-Weltverbandes Fide. Insgesamt 7:7 heißt es zwischen den zwei stärksten Schachspielern und den zwei besten Programmen, nimmt man das 4:4 zwischen Weltmeister Wladimir Kramnik und den Computer-Weltranglistenersten Deep Fritz im Oktober in Bahrain hinzu. Wie Kramnik führte Kasparow. Nach dem Auftaktsieg „überspielte ich meines Erachtens das Programm. Ich hätte ebenso die zweite wie dritte Partie gewinnen können“, ließ der 39-Jährige das Match gegen Deep Junior Revue passieren. Doch dann entglitt ihm im dritten Vergleich auch noch das Remis, „DJ“ egalisierte. Von den drei folgenden Unentschieden beeindruckte Kasparow vor allem das vorletzte. „Ich habe die Partie ausführlich analysiert. Ich muss zugeben, das Läuferopfer auf h2 war ein gutes Opfer. Fürs Computerschach stellt dieser Zug einen großen Moment dar“, lobte er das Rechenmonster, das Weiß „gehörig unter Druck setzte“.

Das gebrannte Kind scheute das Feuer, nachdem es 1997 gegen Deep Blue die abschließende Partie in nur 19 Zügen in den Sand gesetzt hatte. „Die Maschine bricht nie zusammen – bei einem Menschen kann man sich da nie ganz sicher sein. Vor der letzten Begegnung bestand mein Hauptziel darin, bloß nicht zu verlieren“, räumte Kasparow blank liegende Nerven indirekt ein und rechtfertigte die Punkteteilung: „Je länger die Partie dauert, desto mehr nimmt die Gefahr eines Patzers zu – während dem Computer niemals ein grober Schnitzer unterläuft.“

Kasparow kassiert für das Remis 750.000 von einer Million Dollar Preisgeld, das verbleibende Viertel geht an Ban und Bushinsky. Letztgenannter kann den finanziellen Segen gut gebrauchen, hatte doch unter anderem sein Gegner den Geldhahn für die defizitäre Webseite „www.Kasparovchess“ zugedreht. Der arbeitslose Ingenieur hofft außerdem, dass sein Programm nach der exzellenten Werbung in New York künftig häufiger über den Ladentisch geht. Wurden von den acht Versionen des Marktführers Fritz rund eine halbe Million Silberscheiben verhökert, liegt Deep Junior mit knapp einem Zehntel sogar nur auf Platz drei der Bestsellerliste. „Das ist enttäuschend. Wir sind dreifacher Weltmeister und denken, dass die Verkaufszahlen klettern sollten“, erklärte Bushinsky.

Das nächste verkaufsfördernde Match gegen einen Topspieler kommt dabei bestimmt. Kasparow läutete es bereits verbal ein: „Deep Junior verkörpert die Fortschritte des Computer-Schachs. Es ist aber auch noch verwundbar. Einige Unzulänglichkeiten konnte ich aufzeigen.“ Warum reichte es dann trotzdem nicht zum Erfolg? Die für Kasparow erstaunlich demütige Antwort: „Ich wollte dominieren – aber unsere Wünsche und unsere Fähigkeiten klaffen oft weit auseinander.“ HARTMUT METZ