: Kleines Wunder ohne Happyend
Auch in der Abfahrt wird es nichts mit Hilde Gergs ersehnter Medaille bei der Ski-Weltmeisterschaft, doch vielleicht setzt die 27-Jährige entgegen früheren Ankündigungen ihre Karriere sogar fort. Abfahrtsgold holt sich Melanie Turgeon aus Kanada
aus St. Moritz KATHRIN ZEILMANN
Dort, wo Hilde Gerg herkommt, ist es fast so idyllisch wie bei Heidi und Peter auf der Alm. Aber nur fast, denn der Kommerz und der Tourismus haben auch im oberbayerischen Lenggries längst Einzug gehalten. Hilde Gergs Eltern versorgen auf der Tölzer Hütte hungrige und durstige Touristen mit bayerischen Brotzeiten. Und Hilde musste im Winter auf dem Weg zur Schule mit den Skiern hinab in den Ort fahren. Ob sie deshalb seit Jahren zu den weltbesten Skirennläuferinnen gehört? Skifahren liegt ihr irgendwie im Blut, sagt sie.
Bei der WM in St. Moritz darf man es getrost als kleines Wunder bezeichnen, dass die 27-Jährige überhaupt an den Start gehen konnte, auch wenn es mit dem angesichts der starken Trainingszeiten enttäuschenden 14. Rang in der gestrigen Abfahrt, welche die Kanadierin Melanie Turgeon vor den gemeinsamen Zweiten Meissnitzer (Österreich) und Rey-Bellet (Schweiz) gewann, sowie dem 20. Platz im Super-G vor einer Woche alles andere als zufrieden stellend lief.
Im Dezember, als sie nach zwei Weltcup-Siegen in Abfahrt und Super-G als Favoritin auf WM-Gold galt, war ihr Kreuzband im linken Knie gerissen. Die Saison schien vorbei, schlimmer noch: Hilde Gerg hatte bereits im vergangenen Oktober angekündigt, dass dieser Winter wohl ihr letzter als aktive Skirennläuferin im Weltcup sein könnte. „Das Karrieeende“, sagte Gerg aber nun kurz vor der WM, „ist jetzt absolut kein Thema.“ Dazu lächelt sie verschmitzt.
Vielleicht ist sie auch im nächsten Winter noch dabei. Denn sie ließ ihr Knie nicht operieren, stabilisierte stattdessen in einem sechswöchigen Rehaprogramm die Muskulatur und kehrte pünktlich zu den Titelkämpfen zurück. Bereits im Januar erklomm sie beim Super-G in Cortina d’Ampezzo als Dritte wieder das Podest. Cheftrainer Wolfgang Maier empfing sie mit offenen Armen, die Erleichterung war ihm anzumerken. „Die Hilde ist so unglaublich wichtig für uns“, sagt er. Denn zickige Beschwerden in alle Richtungen, wie sie Kollegin Martina Ertl bei Großveranstaltungen gerne artikuliert, sind Hilde Gerg fremd. Und den jungen Nachwuchsfahrerinnen Isabell Huber und Maria Riesch traut niemand Medaillen zu, Hilde Gerg müsste voranfahren als Schutzschild.
„Vom Winde verweht“, schrieben die Zeitungen nach dem Super-G, und sie selbst schimpfte über die Windböen, die unbarmherzig über die Piste hinwegfegten, als die Startgruppe um Gerg fuhr: „Da hat es die Tore fast weggeblasen“, machte sie ihrem Ärger Luft. Aber Hilde Gerg hält sich mit solchen Widrigkeiten für gewöhnlich nicht lange auf. Die Mischung aus ehrgeiziger Leistungssportlerin und unkompliziertem Mädel aus den Bergen verkörpert sie mühelos. Sie spricht breiten bayerischen Dialekt, obwohl sie sich Mühe gibt, dass man sie auch in den nördlichen Teilen Deutschlands noch verstehen kann. Ihre Freude kannte keine Grenzen, als sie 1998 Slalom-Olympiasiegerin wurde, und ihre Tränen rührten die Fernsehzuschauer, als sie 2002 bei Olympia in Salt Lake City keine Medaille errang, stattdessen Vierte in der Abfahrt und Fünfte im Super-G wurde.
Gerg ist eine der wenigen Fahrerinnen, die sich von einer blendenden Technikerin – bewiesen durch das Slalom-Gold – zu einer der besten Läuferinnen in den schnellen Disziplinen entwickelt hat. Die „wilde Hilde“ wird sie oft genannt, sagt aber selbst: „Ich weiß auch nicht, woher das kommt, eigentlich bin ich ein sehr ruhiger Mensch.“ Sie grinst dabei ein wenig, denn Ruhe kennt sie auf der Piste eigentlich nicht, vielmehr angriffslustige Fahrweise mit kalkuliertem Risiko, eben schon ein wenig wild. Und sie kann sich durchbeißen. Sie hat es ertragen, als viel darüber diskutiert wurde, ob es denn wirklich so gut ist, dass ihr Ehemann Wolfgang Grassl Slalom-Trainer im Weltcup-Team war. Ob sie bevorzugt würde, wurde spekuliert, sie war den misstrauischen Blicken der Kolleginnen ausgesetzt. Inzwischen hat sich Grassl aus der Mannschaft verabschiedet, trainiert jetzt den Nachwuchs.
Auch gestern, bei der Abfahrt in St. Moritz, saßen ihre Eltern auf der Tölzer Hütte wie immer vor dem Fernseher, die Wünsche der Gäste mussten für einen Moment warten. Hilde Gerg kommt nur noch ab und zu auf Besuch in die Idylle der Lenggrieser Berge – und Skifahren ist für sie längst mehr als nur eine Möglichkeit, im Winter schnell in die Schule zu kommen.
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