Freikarten für Opfer

Gut drei Monate nach der blutigen Geiselnahme hat das Moskauer Musicaltheater Nord-Ost wieder eröffnet

MOSKAU taz ■ „Das Leben geht weiter“, schmetterte Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow trotzig in die Runde, „nichts kann uns aufhalten!“ Nach drei Monaten Zwangspause öffnete das für 300.000 Dollar renovierte Musicaltheater Nord-Ost am Samstagabend seine Tore. Die neu installierten Überwachungsanlagen erinnern an die Tragödie vom vergangenen Herbst.

Am 23. Oktober letzten Jahres hatten 50 Terroristen die rund 800 Besucher als Geiseln genommen und den Kreml aufgefordert, den Vernichtungsfeldzug in Tschetschenien zu beenden. Nach zweieinhalb Tagen befreiten Spezialeinheiten die Gefangenen.

Der Kreml ließ sich feiern. Dabei hinterließ die Befreiungsaktion ein ganzes Bündel von Ungereimtheiten. 129 Geiseln waren ums Leben gekommen, darunter nur sechs durch Schussverletzungen. Die anderen wurden durch das vom Einsatzkommando eingesetzte Gas getötet. Fast alle Terroristen, unter ihnen zehn junge Frauen, waren durch Fangschüsse exekutiert worden. Die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission scheiterte an den kremlnahen Fraktionen. Das erklärt vielleicht, warum der Kreml zur Premiere weder einen Vertreter entsandt hatte noch ein Grußwort verlesen ließ.

Unter den Besuchern befanden sich auch ehemalige Geiseln, die eine Freikarte erhalten hatten. 51 Opfer und deren Hinterbliebene haben inzwischen die Moskauer Stadtregierung in einer Sammelklage auf 60 Millionen Euro verklagt, die sich erstmals an international üblichen Entschädigungssummen orientiert. Bisher erhielten überlebende 1.500, Hinterbliebene 3.000 Euro. KLAUS-HELGE DONATH