It was very leidenschaftlich

Vertauschte Rollen auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Haudrauf Rumsfeld übt sich in einer Charmeoffensive, Diplomat Fischer liest ihm die Leviten

aus München PATRIK SCHWARZ

Es war in mancherlei Weise eine Konferenz der Überraschungen, aber nicht alle waren geplant. Donald Rumsfeld etwa kam gerade von seinem Vieraugengespräch mit dem deutschen Verteidigungsminister Peter Struck zurück. Was er denn halte von Plänen der Deutschen und Franzosen, mit UNO-Blauhelmen im Irak einen Krieg zu verhindern, wurde er gefragt. Er könne dazu nichts sagen, knurrte der Herr des Pentagon.

Es blieb Rumsfelds einziger grimmiger Moment an einem Wochenende, das von seinen Beratern als Charmeoffensive angelegt war. „Sie haben hart daran gearbeitet, dass die Rede ruhig daherkommt“, bestätigt John Kornblum, der frühere US-Botschafter in Berlin. Routiniert nahm der US-Verteidigungsminister auf der Münchner Sicherheitskonferenz sein Image als Eisenfresser aufs Korn. Ob er als Vielflieger einen Tip habe, wie man den Jetlag loswird? „Ich habe mal in der Pharmaindustrie gearbeitet“, grinst er, „und alles, was stark genug ist, um mir zu helfen, ist stark genug, um Ihnen zu schaden.“ Altes Europa, neues Europa? „In meinem Alter ist die Vokabel ‚alt‘ doch ein Ausdruck der Zuneigung.“ Libyen, Kuba und Deutschland unternähmen nichts gegen den Irak? Er habe doch nur eine Frage in einem Kongressausschuss beantwortet, und da müsse man eben die Wahrheit sagen. In einem viertelstündigen Interview mit Sabine Christiansen beteuerte er gar: „Die Deutschen sind wunderbare Menschen. Meine Familie stammt von hier, ich habe immer noch Verwandte in diesem Land. Ich komme gern nach Deutschland.“

Und so schlimm sei das mit den Differenzen der USA zu Deutschland auch wieder nicht. „Gab es das früher auch schon? Ja. Gab es das schon einmal mit praktisch jedem anderen Land der Welt? Ja. Ist es wahrscheinlich, dass es wieder vorkommt? Ja. Können wir damit leben? Natürlich!“ In seiner Rede würdigte er außerdem ausdrücklich das deutsche Engagement in Afghanistan. „Rumsfeld hat seine Ansichten wahrscheinlich um keinen Deut geändert, aber er hat auf eine sehr positive Perspektive gesetzt“, befand Kornblum hinterher. Und so war Donald Rumsfeld die eine Überraschung der Konferenz. Die andere lautete Joschka Fischer.

Geht es um den Irak, laufen stets zwei Joschka Fischers durch die Welt, wie schon sein Wahlkampfslogan verriet: „Außen Minister, innen grün“. Beide, der Grüne wie der Diplomat, reden gegen den Krieg, aber im Ausdruck könnte der Unterschied größer nicht sein.

So beherrscht und präzise ist er als Außenminister, dabei aber ohne Kraft und Glaubwürdigkeit, dass immer öfter das – falsche – Gerücht aufkam, in Wahrheit teile Fischer Kanzler Schröders Antikriegskurs nicht. Nur in kleiner Runde hat er bisher sein Inneres nach Außen gekehrt: Frei und von innerer Überzeugung beflügelt, wettert er dann gegen den US-Kurs, dabei den berüchtigten Fischer-Finger schwingend, und ohne Maß und Halt zu finden. Auf der Sicherheitskonferenz bekam erstmals ein diplomatisches Publikum einen undiplomatischen Joschka Fischer zu sehen.

„Very open“, habe Fischer gesprochen, befand anschließend der portugiesische Verteidigungsminister, „very informal“. Brent Scowcroft, Bush Seniors nationaler Sicherheitsberater und Veteran des Golfkriegs 91, seufzte: „Hätten wir früher einen ernsthaften Dialog begonnen, würde jetzt keiner so scharfe Worte gebrauchen.“ Exbotschafter Kornblum: „It was very leidenschaftlich.“

Ein ums andere Mal, den Zeigefinger auf einen zunehmend eisiger blickenden Rumsfeld gerichtet, warnte Fischer vor den „falschen Prioritäten“ der Amerikaner. „Irak – warum jetzt?“, fragte er zweimal. Auf dem Höhepunkt seiner Rede ohne Manuskript wechselte er vom Deutschen ins Englische: „Excuse me, I am not convinced, and that's my problem – I am not convinced.“ Er sei schlicht nicht überzeugt von Rumsfelds Argumenten. Endgültig brach der Deutsche mit den Gepflogenheiten in der Nato, als er offen die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA in Frage stellte, die präventive Angriffe vorsieht. Derart vom Konkreten ins Grundsätzliche zu gehen, hatte Fischer sich zuletzt 1998 in seinen ersten Tagen als Minister getraut, als er in der Nato anregte, die USA könnten auf ihr atomares Erstschlagsrecht verzichten. Die Reaktion aus der Supermacht fiel eisig aus, und Berlin griff die Idee nie wieder auf.

In München rückte Fischer nun die weltweit umstrittene Idee in den Mittelpunkt, die USA müssten andere Staaten präventiv angreifen dürfen, um sich zu schützen. Von Rumsfeld verlangte er zu erfahren, ob das amerikanische Vorgehen gegen Irak „ein Einzelfall“ sei oder „eine längerfristige Strategie“, dann nämlich „sehe ich wirklich großen Diskussionsbedarf“. Dem Gast aus Washington trug der Deutsche sodann eine Liste von drei Befürchtungen vor: dass die Strategie sich ausschließlich an den Sicherheitsbedürfnissen der USA orientieren könnte, dass sie nicht an „allgemein verbindliche Regeln“ geknüpft sein könnte und dass solche Regeln einseitig von den USA festgelegt werden könnten, statt sie mit den Verbündeten zu vereinbaren. „Das ist für uns im Bündnis eine ganz zentrale Frage.“

Fischers Appell blieb ohne Antwort, den US-Teilnehmern stand der Sinn nicht nach Grundsatzdebatten. Selbst kriegsskeptische Amerikaner wie Exgeneral Wesley Clark halten den Waffengang für unvermeidlich – und stellen dieselbe Frage wie der „Falke“ und Pentagon-Berater Richard Perle: „Eines habe ich gehofft, von Minister Fischer zu erfahren, aber ich bekam keine Antwort: Was ist seine Alternative?“ An der Form von Fischers leidenschaftlichem Auftritt störte Perle sich nicht. „Gefühle sind okay, wir kriegen alle Gefühle.“