Eine schwierige Geschichte

„Schön, schön“, sagte der leibliche Vater immer: Die Schriftstellerin A. M. Homes erzählt von den Hintergründen ihrer eigenen Adoption. In „Die Tochter der Geliebten“ geht es um problematische Gefühle, die Frage „Wer bin ich?“ und den sozialen Aufstieg

„Der Roman ist eine falsch etikettierte Autobiografie. Im Roman kann sich der Autor für den Sand rächen, der ihm ins Gesicht getreten wurde.“ James Ellroy

VON ELISABETH RAETHER

Amy M. Homes war einunddreißig Jahre alt und hatte zwei Bücher veröffentlicht, als sie ihren leiblichen Eltern zum ersten Mal begegnete. Am Tag ihrer Geburt gab ihre Mutter sie zur Adoption frei. Ihre Adoptivmutter hatte ein paar Monate zuvor ihren Sohn verloren, der neunjährig an einer angeborenen Nierenkrankheit starb, sie konnte keine Kinder mehr bekommen.

Die Adoption war privat. Ein Anwalt regelte die Angelegenheit. A. M. Homes hat immer davon gewusst. Im Bücherregal der Homes stand „Die adoptierte Familie“ in zwei Bänden, einer für das Kind zum Vorlesen, einer für die Eltern. Sie wuchs in einem Vorort von Washington auf, in einem bürgerlichen, jüdischen, intellektuellen Elternhaus. Heute lebt sie als Autorin in New York City.

Weihnachten 1992 meldet sich Homes’ leibliche Mutter, Ellen Ballman, bei der Familie. Sie war bei der Geburt ihrer Tochter im Jahr 1961 zweiundzwanzig Jahre alt und unverheiratet, der Vater, Norman, war älter und hatte bereits Familie.

Ellen will Kontakt zu ihrer verlorenen Tochter. Sie ist anhänglich. „Wann kann ich dich sehen? Wenn du einverstanden bist, könnte ich sofort kommen. Ich würde vor deiner Tür stehen. Wirst du mich bald wieder anrufen? Ich liebe dich. Ich liebe dich sehr.“ Sie ist auf beunruhigende Weise unfähig, für sich zu sorgen. Dass sie ihr Kind weggeben musste, hat sie nie überwunden. Sie stirbt, knapp sechs Jahre nachdem Homes ihr zum ersten Mal begegnet ist. Sie war zur Dialyse im Krankenhaus und hat gegen den Rat der Ärzte die Behandlung abgebrochen.

Homes lernt auch ihren leiblichen Vater kennen, Norman Hecht, der mit Ellen eine Affäre begann, als sie siebzehn Jahre alt war, ein jovialer, unverbindlicher Typ, ehemaliger Footballspieler, als Geschäftsmann zu Geld gekommen. Seine Frau hat ihm den Fehltritt nicht verziehen. Hechts eigene Kinder, inzwischen auch erwachsen, dürfen von ihrer Halbschwester nichts wissen.

„Schön, schön“, sagt er bei jeder Gelegenheit.

Er sagt: „ ‚Ruf mich im Auto an. Meine Frau nimmt das Auto nicht.‘ ‚Ich bin nicht deine Geliebte. Ich bin deine Tochter. Ich rufe dich ganz bestimmt nicht im Auto an‘, sage ich. ‚Schön, schön.‘ “

Homes ist eine gute Geschichtenerzählerin. Sie weiß, wie sie Szenen aufbaut, welches Detail sie wo platziert, sie kann einer Figur klare Konturen geben, sie hat Fantasie, ein Gespür für Rhythmus und Sinn für Humor. Auf sicheren Händen wird man durch die Geschichte getragen. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt, auf Deutsch erschien zuletzt der Roman „Dieses Buch wird Ihr Leben retten“. Sie hat außerdem zwei Erzählbände geschrieben sowie Drehbücher für die Fernsehserie „The L Word“ (läuft hier mit dem Untertitel „Wenn Frauen Frauen lieben“ auf ProSieben) und Adaptionen ihrer eignen Romane. Sie veröffentlicht in Literaturzeitschriften und in den großen Magazinen. Sie war im Vorstand der bedeutenden amerikanischen Kunststiftung Yaddo. Zadie Smith sagt, Homes sei für ihre Generation von Schriftstellern eine „Heldin“.

In „Die Tochter der Geliebten“ will Homes sich aber nicht auf ihr Können verlassen. Sie will sicher sein, dass ihre Geschichte eine allgemeine Bedeutung hat und ihr Text besonders literarisch aussieht. Doch damit erreicht sie das Gegenteil, und es wirkt, als wende sie Schriftstellertricks an, die Schriftsteller brauchen, wenn sie mehr sagen wollen, als sie zu sagen haben.

Dann macht sie jedes Detail zur Metapher, die weit hergeholt sind, sie gibt Erklärungen ab, vermerkt Theorien und Thesen, wo die Figuren und Szenen für sich sprechen könnten. Es ist, als hätte sie, um Proust zu zitieren, das Preisschild drangelassen.

Als sie eine Aktenkiste, in der sie Unterlagen ihrer Mutter aufbewahrt hat, schließlich in den Müllcontainer wirft, klingt es „wie eine Detonation“.

Sie macht mit ihrer Adoptivmutter einen Ausflug: „Die Bewegung des Autos beruhigt – sie gleicht meine eigene Bewegungsunfähigkeit aus, befriedigt mein Bedürfnis, mich von jemand anderem bewegen, tragen zu lassen. Die Straße entrollt sich.“

Ein Vorgang der erzählten Wirklichkeit wird nicht erzählt, sondern erklärt, als wollte Homes sichergehen, dass das, was sie sagt, wirklich als Motiv verstanden wird.

Sie verletzt sich einmal am Auge und muss für ein paar Tage eine Augenklappe tragen, weshalb sie nicht das eigene Auto nehmen kann, um zu einer Verabredung mit ihrem leiblichen Vater zu fahren. „Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Taxi in die Innenstadt. Ich bin aus der Zeit, aus mir selbst gefallen. Es fühlt sich wie eine Szene aus längst vergangener Zeit an, als Frauen noch nicht Auto fuhren.“

Die Frau ihres leiblichen Vaters ist am Telefon nie besonders freundlich. „Für sie bin ich illegitim. Bedeutet das, ich existiere nicht, ich habe nie existiert?“

Homes braucht dieses raunende „Wer bin ich?“ als Überbau gar nicht – ohnehin eine Frage, die so groß ist, dass sie, frontal gestellt, etwas beliebig wirkt. Eine Frage, die Teenager oder Yogalehrer stellen.

Es sind andere Gedanken, solche, die sozusagen ein paar Nummern kleiner sind, die das Buch interessant machen.

Zum Beispiel wenn Homes erzählt, dass sie ja, indem sie von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben wurde, sozial aufgestiegen ist – etwas, das ihr erst bewusst wird, als sie ihren leiblichen Eltern begegnet. Ihre Lebensgeschichte ist wie ein Beweis für die naheliegende, aber oft ignorierte Einsicht, dass die Herkunft eines Kindes darüber entscheidet, was aus ihm wird.

Ellen, die Mutter, spielt feine Dame, legt sich eine räudige Pelzstola um die Schultern, trinkt Harvey’s Bristol Cream und bestellt Hummer, den sie sich nicht leisten kann. „ ‚Nimm doch den Hummer‘, sagt sie. Ich habe eine Allergie gegen Hummer.“

Homes trifft ihren leiblichen Vater zum Mittagessen im Country Club, den ihre Adoptiveltern nicht betreten, „aus politischen Gründen“, denn dort sind „Schwarze, Juden, alle, die ‚anders‘ sind“, nicht willkommen.

Ihre Mutter fragt sie, ob sie ihr verzeihen könnte, dass sie sie weggegeben hat. „ ‚Du hast auf jeden Fall das Richtige getan‘, sage ich und habe es noch nie so ehrlich gemeint.“

So nüchtern und unvoreingenommen schreibt Homes, wenn sie die Dinge aus der Perspektive einer erwachsenen Frau schildert. Aber es fällt ihr schwer, von den Empfindungen zu berichten, die sie als Kind hatte und die nun, da sie ihren leiblichen Eltern begegnet, wiederkommen. Es fällt ihr schwer, dafür eine klare Sprache zu finden.

Vielleicht befürchtet sie, dass ihre Geschichte zu partikular, kontingent und ohne Bedeutung ist. Vielleicht baut sie deshalb literarische Effekte ein. Im Ergebnis wirkt der Text manchmal überladen, aber das, was man ihr als Angeberei oder einfach als Pathos auslegen könnte, ist eigentlich eine Verlegenheit, die Furcht, die eigene Geschichte sei nicht genug. Dabei kann Literatur ja aus den Erfahrungen eines Einzelnen bestehen, wie denen eines kleinen Mädchens aus Washington, das adoptiert wurde. Homes will ihre Geschichte der Literatur anvertrauen, doch dann hat sie zu wenig Zutrauen, dass die Literatur sie zum Ausdruck bringen kann.

A. M. Homes: „Die Tochter der Geliebten“. Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 236 Seiten, 17,95 €