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Unsere nette kleine Stadt

Keine Drogen, keine Rassenkonflikte und keine Arbeitslosigkeit. Nur die Liebe macht hier Probleme: David Gordon Greens Forum-Beitrag „All the Real Girls“ erzählt vom einfachen Leben in der guten alten amerikanischen Provinz

Der Berlinale-Junkie läuft Gefahr, sich in den endlosen Folgen von verschiedenen Trailern im Vorprogramm der Filme zu verfangen. Nach dem offiziellen Trailer des Festivals folgen in der Regel zwei bis fünf computeranimierte Firmenlogos mit dröhnenden Surroundeffekten – ein Reigen permanenter Ankündigung, die schleichend jeden Inhalt substituiert. Wenn dann die eigentliche Handlung endlich beginnt, braucht es eine Weile, bis diese Angst verstummt.

Eine hinter mir sitzende Kleingruppe osteuropäischer Filmkritiker kapitulierte bei der Pressevorführung von „All the Real Girls“ jedenfalls frühzeitig. Nachdem im Cinemascope-Format die Trailer von „Alliance Atlantis“ und „Sony Pictures“ abgefeiert worden waren, verließen sie fluchend den Saal, fest überzeugt, nicht in einem Forum-Film zu sitzen.

Die Kollegen waren schon im richtigen Kino: „All the Real Girls“ erwies sich dann doch noch als ein Film des Forumprogramms, sogar als einer seiner wichtigen. Nach seinem von Lob überschütteten Debüt „George Washington“ bekam David Gordon Green mit Hilfe der Woody-Allen-Produzentin Jean Doumanian die Gelegenheit, ein wesentlich höher budgetiertes Projekt zu realisieren. Trotzdem blieb der Regisseur seinem Low-Budget-Gestus und auch seinem Metier treu. Wie der Vorläuferfilm ist „All the Real Girls“ fest in der Provinz verankert.

Seine Figuren entsprechen auf erfrischende Weise wenig den Stereotypen Hollywoods. Sie scheinen noch am ehesten einer Ballade von Bruce Springsteen zu entstammen: ehrlich, erdig, bisweilen engstirnig. Wie die Helden in David Lynchs Ausnahmefilm „The Straight Story“ verkörpern sie den personellen Humus eines sich selbst erschaffenden Amerikas, das so nur noch in der Peripherie überlebt hat. In diesem namenlosen Kaff irgendwo in North Carolina wird der Alltag vom einzigen Arbeitgeber vor Ort – einer etwas verkommenen Textilbude – strukturiert, die Auszeit kreist um Barbecue-Partys, Bowlingbahn und Freiwillige Feuerwehr. Und einmal im Jahr gibt es ein Autorennen.

Noch immer wuchern dichte Wälder ringsum, noch immer knüpft die Eisenbahn die wichtigsten Kontakte zur Außenwelt. Computer oder Drogen haben sich ebenso wenig breit gemacht wie Rassenkonflikte oder Arbeitslosigkeit. Es ist dies das vielleicht größte Kunststück dieses Films: uns ein solch idyllisches Bild nachvollziehbar erscheinen zu lassen, ohne dass das Ganze je in Idealisierung oder gar Patriotismus umkippt. Existenzielle Probleme resultieren in dieser merkwürdig hermetischen Welt nicht von außen. Folgerichtig bleibt auch der Ausbruchsversuch nach New York oder in eine andere Megalopolis aus. Für Paul und Tip droht die provinzielle Geborgenheit erst in jenem Moment zu zerbrechen, da sich der eine ausgerechnet in die jüngere Schwester des anderen verliebt. Gemeinsam hatten sich die jungen Männer über Jahre hinweg als Flachleger vom Dienst profiliert. Nun wirft sich Tip plötzlich zum Beschützer seiner Schwester Noel auf. Nur langsam realisiert er die neue Qualität der Beziehung und gibt seinen Segen. Nicht ohne seinerseits eine Familie zu gründen.

Man kann diese Coming-of-Age-Story der besonderen Art als allzu regressiv schelten oder sich über die genügsam entworfenen Charaktere lustig machen. Kein Problem. Aber „All the Real Girls“ bleibt trotz seines immanenten Konservatismus durchweg spannend. Auch daraus resultiert seine Faszination. Ein in mehrfacher Hinsicht deplatziert wirkender Film, gerade deshalb sehenswert. CLAUS LÖSER

Heute, 22.15 Uhr, CineStar 8. Morgen, 17.30 Uhr, Arsenal. Übermorgen, 15 Uhr, Filmkunsthaus Babylon

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