Aushalten im Abwarten

Das Schlagloch     von VIOLA ROGGENKAMP

Wieso werden Viagraproduzenten und ihre Konsumenten nicht von ethischen Verboten umstellt?

En Priester, ein Politiker und ein Rabbi diskutieren: Wann beginnt das Leben? Der Priester sagt: Das Leben beginnt mit der Zeugung. Der Politiker sagt: Das Leben beginnt mit der Geburt. Der Rabbi sagt: Das Leben beginnt, wenn der Hund tot ist und die Kinder aus dem Haus sind.

Darf man nun oder darf man noch nicht? In Köln werden seit Beginn dieser Woche im Universitätsinstitut für Neurophysiologie menschliche Herzzellen aus Stammzellen gezüchtet. Die Erlaubnis wurde offiziell erteilt. Dennoch gelten in Deutschland menschliche Stammzellen, die bei künstlicher Befruchtung entstehen, deutsche Embryonen, nach dem Gesetz weiterhin als sakrosankt. Sie müssen der Mutter eingepflanzt werden. Und? Werden sie?

Die armen Frauen, was die alles mit sich machen lassen sollen. Ach, Kinder! Ach, Embryonen! Glaubt das doch nicht. Wissenschaftler sacken euch ein, um zu experimentieren, genauso wie abgetriebene Föten seit Jahr und Tag in die medizinische und kosmetische Forschung wandern, anstatt beerdigt zu werden. Und sind wir nicht darauf angewiesen, möchten wir es nicht sogar einerseits, um es andererseits so genau gar nicht wissen zu wollen?

Weil man in Deutschland betont, menschliche embryonale Zellen im sechsten bis zehnten Teilungsstadium, also staubkorngroß, zu Forschungszwecken auf gar keinen Fall selektieren und vernichten zu dürfen – wir wissen schon, nach alledem –, und weil man nach alledem jetzt erst recht alles moralisch richtig und noch richtiger machen will als alle anderen Nationen, gehen deutsche Forscher, übrigens nicht erst seit heute, Eier in Israel einkaufen. Ich verkneife mir an dieser Stelle jede Bemerkung; das wird nur schlechtes Deutsch.

Menschliche embryonale Stammzellen aus Israel werden nach Deutschland importiert und erst mal wieder eingefroren, damit sie sich nicht teilen, das nämlich tun sie alle sieben Tage. Offenbar ist dies der übliche Arbeitstakt der Schöpfung.

Sind jüdische Wissenschaftler skrupellose Eierhändler? Aber nein. Das Judentum definiert Leben anders als das Christentum. Der Jüdischen Allgemeinen sagte Rabbiner Nathan Peter Levinson, was das Leben der Menschen besser machen und der Gesundheit helfen könne, sei vom Standpunkt des Judentums aus in Ordnung. Im Prinzip sei auch gegen das Klonen nichts zu sagen. Man müsse einfach abwarten, ob es dem Menschen schade oder nütze. Der Mensch probiere sowieso aus, was er glaube machen zu können.

Wie wahr. Aushalten im Abwarten, aushalten in dem Wissen, dass trotz Geboten und Verboten immer wieder alles neu zu bedenken bleibt und zu bereden und zu verantworten sein wird, was geschieht. Aushalten in der Ambivalenz. Das gilt vielen in Deutschland als schwächliches Herumlavieren. In der Presse wurde der vom Bundeskanzler einberufene Ethikrat abqualifiziert als privater Debattierclub Gerhard Schröders. Vorwiegend Männer verlangten mit markigen Worten Mut zur Entscheidung, einfach verbieten, klare Sache und hopp.

Was ist der Mensch? Ein befruchtetes Ei? In Deutschland muss eine Frau, eine Mutter mit ihrem schwerbehinderten Kind, jedes Jahr wieder zur Behörde, um überprüfen zu lassen, ob sie ein weiteres Jahr Anspruch auf die Hilfe eines Zivildienstleistenden hat. Wird ihr Antrag genehmigt, muss sie sich ihren Zivi selbst suchen. Der Mensch ist eine Amtsperson mit einem Stempel.

Es geht nicht bloß um Gott und die Welt bei der Frage, ob in Deutschland nur pränatale Diagnostiker oder auch Präimplantationsdiagnostik erlaubt sein soll. Es geht vor allem darum, Frauen das Leben entsprechend dem Stand der Forschung zu erleichtern oder nicht zu erleichtern. In Israel hat das Leben der Frau Vorrang vor dem ihres noch nicht geborenen Kindes, unabhängig vom Schwangerschaftsmonat, in dem sich die werdende Mutter befindet.

Die SPD-Ministerinnen, Renate Schmidt, Edelgard Bulmahn und Ulla Schmidt, haben erklärt, mit Rücksicht auf die Frau sei die PID, die Präimplantationsdiagnostik, vertretbar. Bei der PID werden Embryonen danach selektiert, ob sie lebensfähig sind und ob sie schwere Erbkrankheiten transportieren. Sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht lebensfähig und transportieren sie schwere Erbkrankheiten, sollten sie erst gar nicht der Frau in ihre Gebärmutter eingepflanzt werden. Ist das nicht menschlich? Wieso gilt das als unmoralisch? Die Debatte erinnert an das Gezeter in der alten Bundesrepublik um freie Abtreibung. Bis heute ist man hierzulande Frauen gegenüber darin bevormundend geblieben.

Selektieren und vernichten. Diese beiden Wörter haben in der deutschen Sprache begreiflicherweise einen schrecklichen Nachhall. Aber was haben die ehemaligen deutschen Konzentrationslager der Nationalsozialisten mit einer Frau zu tun, die Mutter eines gesunden Kindes werden möchte und dafür die gegebenen Möglichkeiten der medizinischen Wissenschaft nutzen will? Warum einer Frau den Vorgang einer Implantation zumuten sowie die körperliche Vorbereitung und seelische Hoffnung auf ihr Kind, um zehn Wochen später womöglich nach medizinischer Indikation abzutreiben? Wieso ist das besser als einen staubkorngroßen Embryo im Labor zu vernichten?

Und warum gibt es ethisch-moralische Bedenken von diesem Ausmaß nie, wenn es um den männlichen Unterleib geht? Wieso werden Potenzpillenproduzenten und ihre Konsumenten nicht von ethischen Verboten umstellt? Geht es um den Anteil des Mannes am Entstehen menschlichen Lebens, dann geht es nur um seine Lust. Geht es um den Unterleib der Frau und ihre spezifisch weibliche Potenz, menschliches Leben in sich entstehen und entwickeln lassen zu können, scheint sich jeder Bedenkenträger als embryonale Eizelle zu imaginieren, die von der allmächtigen Mutter in den Mülleimer geworfen wird.

Das Gezeter erinnert an die Debatte um die Abtreibung. Bis heute werden Frauen dabei bevormundet

Der Umstand, dass männliches Wissenschaftsdenken herauszufinden versucht, wie man Kinder ohne Frauen bekommen kann, hat dazu geführt, dass Frauen inzwischen wissen, wie sie Kinder ohne Männer bekommen können. Seitdem es die künstliche Befruchtung gibt, ist für die Frau der körperliche Kontakt mit dem Mann zur Empfängnis nicht mehr notwendig. Es geht außerhalb im Reagenzglas, sogar im Bett mit der Sahnespritze der Freundin.

Ein amerikanischer Nahrungsmittelkonzern annoncierte in einer amerikanischen Lesbenzeitung: Wenn Sie eine Prise von unserem Backpulver in Ihr teures Samentütchen geben, bekommen Sie garantiert ein Mädchen. So in etwa lautete der Text der Anzeige.

Die Überlegung bei diesem Rezeptvorschlag ist: Männliche Stammzellen schwimmen schneller als weibliche, aber ihr Frischedatum läuft eher ab, sie altern rasch und werden schnell kraftlos. Wird die Spermaflüssigkeit durch Backpulver angedickt, meinte der Nahrungsmittelproduzent herausgefunden zu haben, versacken die Knaben im Rührteig, während die Mädchen langsam, aber stetig ans Ziel rudern und das mütterliche Ei befruchten. Es soll Frauen geben, die in Doktor Oetker die Lösung aller unserer Probleme sehen.

Viola Roggenkamp lebt als freie Publizistin in Hamburg