: Von Maschinen und Menschen
Fünf New Yorker Künstler haben im Hamburger Fleetstreet-Theater Videospiel-Automaten gebaut und die Musik dazu komponiert. Zu düsteren Klängen lassen sich Pferde durch eine Mondlandschaft führen oder folgenlos Bälle herumschießen
Die Geschwindigkeit des Fortschritts spiegelt sich besonders deutlich in der Evolution der Medien. So bestanden Computerspiele vor 30 Jahren noch aus animierten und animierbaren Strichen und Punkten. Heute übersetzen Konsolen menschliche Bewegungen in virtuelle Welten, verhelfen Spielern zu parallelen Identitäten und integrieren sie in pseudo-soziale Gemeinschaften. Realität und Fiktion verschwimmen.
Sehr real und zugleich fiktiv ist auch der Ort, den fünf junge New Yorker Künstler in den vergangenen vier Wochen im Veranstaltungssaal des Fleetstreet-Theaters geschaffen haben. Vereinzelte rätselhafte Illustrationen, halb verwischte Schriftzüge und spontan anmutende Schmierereien zieren die Wände.
Das Zentrum der Installation bilden fünf groteske „Video-Arcades“ – mannshohe Spiel-Konsolen. Sperrig, aus Spanplatten gezimmert, mit Fantasy-Motiven und geometrischen Formen verziert. Es sind die Prototypen der Spiel-Altare der 80er Jahre, und die ragen hier so seltsam fremd in den Raum wie die Megalithen von Stonehenge in die liebliche Landschaft von Südengland. Nathan Gwynne, einer der Künstler, fasst das Ensemble so zusammen: „Wir ordnen den Raum irgendwo zwischen Spielhalle und besetztem Haus ein.“
Auf den ersten Blick könnte man meinen, bei der aktuellen Installation handele es sich um das Werk von schnöden Nostalgikern. Als sei es ein Surfen auf einer der zahllosen Retro-Wellen, die die populäre Kultur auf der Suche nach Selbstvergewisserung stetig umspülen.
Doch das Kollektiv zeichnet sich gar nicht durch seine hohe Affinität zu Videospielen aus. „Klar haben wir mal so was gespielt, das hat jeder aus unserer Generation, sagt der 29-jährige Gwynne. Doch mehr als die Maschinen interessieren ihn und seine Kollegen ihr Zusammenspiel mit den Menschen.
In den USA waren diese Spielhallen in den 80er Jahren weit verbreitet“, sagt Rob Seward. Sie waren Treffpunkte für Teenies, vor allem für die Outsider unter ihnen. Orte der kollektiven Einsamkeit. Mit ein paar Münzen in der Tasche brachte man hier Stunden damit zu, an knubbeligen Joysticks zu zerren und auf rote Knöpfe zu hacken – besessen von dem Versuch, in einem zweidimensionalen Universum „Punkte zu sammeln“ oder „nicht getroffen zu werden“. Heute sind die blinkenden Tempel obsolet, das Internet katapultiert ein Vielfaches an Spielen in die Wohnzimmer.
Seward hat auch die virtuellen Szenerien für die Performance im Fleetstreet-Theater programmiert. An den Automaten kann man sie abrufen, einer Münze bedarf man dafür nicht.
Zwar folgen die Konsolen des Fleetstreet-Theater augenzwinkernd der Optik und Logik ihrer Vorbilder. Doch in sanfter Ironie nehmen sie auch immer wieder Abstand zu ihnen. Etwa in dem Spiel „Wild Horses“, wo es lediglich darum geht, ein Pferd durch eine Mondlandschaft zu lenken. Man kann zwar mit Bällen schießen, doch bleibt das völlig folgenlos. Oder in „Kunst Bauen“, eine Sequenz, die es ermöglicht, ein Quadrat mittels Zerrung und Rotation zu einer Skulptur zu formen. Anfang und Ende des „Levels“ bestimmt der Spieler hier selbst.
An anderen Automaten steht der Wettkampf-Gedanke mehr im Vordergrund. Gewinnen kann man aber bei keinem. Sieger bleibt immer die Maschine, weil sie stets ein neues Spiel anbietet, sobald eines beendet ist. Eine Endlosschleife, die deprimiert. Wozu auch der Soundtrack der Videospiele beiträgt. Mal punkig, mal düster wird er gespielt von „Precinct“, der Band von Gwynne und LaBier.
Der vergangene Monat des gemeinsamen Lebens und Arbeitens war für Gwynne und Seward sowie ihre Kollegen Peter LaBiere, Tim Lociek und Donna Chung ein Experiment, für das sie bewusst aus den heimischen Künstlerzirkeln ausbrachen. „Hier wir waren hier völlig isoliert. Ein Gefühl, das dem Ort entspricht, den wir konstruiert haben“, sagt Gwynne. Zu den wenigen deutschen Worten, die er kennt, gehört „Baumarkt“.
„Künftig werden wir zu jeder Spielzeit Künstler einladen, um das Fleetstreet-Theater einen Monat lang für solche Versuchsanordnungen zu nutzen“, sagt Angela Richter, künstlerische Leiterin des Hauses. Das Angebot von Raum und Zeit schaffe besondere Produktionsbedingungen.
Rausgekommen ist ein verstörender Themenpark. Ein Ort wie aus einem bösen Traum. Den können die Besucher jetzt am Freitag und am Samstag gemeinsam mit den Künstlern bespielen. Die einen an den Instrumenten, die anderen an den Konsolen. MATHIAS BECKER
Precinct, In Progress. Abschlusskonzerte: 17./18. Oktober, Admiralitätstraße 71
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen