„Der Finanzkapitalismus ist am Ende“

Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium und Sprecher der SPD-Linken, sieht in der Finanzkrise die Chance für einen weltwirtschaftlichen Neuanfang. Ein ökologisches Bretton Woods soll den Weg in eine neue Epoche öffnen

MICHAEL MÜLLER, 60, ist Staatssekretär im Umweltministerium. Zuvor war er stellvertr. Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

INTERVIEW STEPHAN KOSCH
UND NICK REIMER

taz: Herr Müller, als Staatssekretär verdienen Sie überdurchschnittlich viel Geld. Haben Sie eigentlich Aktien?

Michael Müller: Nein. Nie besessen.

Schade. Dann haben Sie auch keinen Rat für die verunsicherten Kleinaktionäre, oder?

Doch! Jetzt aussteigen und in regenerative Energieerzeugung direkt investieren.

Aber die Börsen sind radikal eingebrochen, wer jetzt aussteigt, verliert viel Geld. Warum sollte er das tun?

Weil wir noch nicht am Ende der Spirale sind. Das dicke Ende der Krise kann erst noch kommen, wenn die Probleme in der Realwirtschaft ankommen. Es besteht die Sorge, dass versucht wurde, die amerikanische Wirtschaftskrise über die Präsidentenwahl zu verschieben. Das sagt mir: Nach der Wahl kommt noch vieles ans Licht, was jetzt mühsam unterdrückt wird. Viele Unternehmen stehen schlechter da, als sie sich öffentlich darstellen.

Wohin steuert eine solche Weltwirtschaft?

In ein neues Zeitalter. Nach dem Manchester-Kapitalismus bis zum Zweiten Weltkrieg folgte eine Sozialstaatsphase, die bis in die Mitte der 70er-Jahre Wohlstand brachte. Danach setzte sich Zug um Zug der Finanzkapitalismus durch. Und die aktuelle Krise zeigt: Die Phase des Finanzkapitalismus ist zu Ende.

Was folgt?

Wer die aktuelle Situation analysiert, wird vier Krisen konstatieren müssen: die der Finanzmärkte, die Klimakrise, die zunehmende Rohstoffknappheit und das Hungerproblem. Stimmt diese Analyse, dann muss das Kommende Antworten auf alle vier Krisen geben. Ich sehe nicht, was das jenseits einer sozial-ökologischen Nachhaltigkeit sein kann.

Bundespräsident Horst Köhler fordert ein neues Bretton Woods – jene ordnungspolitische Weltkonferenz, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Wirtschaftsrahmen bestimmte. Wo könnte diese ansetzen?

An vielen Punkten. Das fängt bei der Möglichkeit eines Grenzsteuerausgleichs an: Die Staaten, die sich selbst höhere Kosten durch die Umbauphase in ein ökologisches System auferlegen, sollten die Möglichkeit bekommen, ihre Wirtschaft zu schützen …

also etwa durch eine CO2-Steuer, wie sie Frankreich vorgeschlagen hat?

Zum Beispiel. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass der Umbau zu einem nachhaltigen System kostenneutral ist – obwohl es uns langfristig billiger kommt.

Was müsste eine solche Konferenz noch beschließen?

Wir brauchen neue Anreize, beispielsweise gespaltene Kreditsätze. Das heißt, diejenigen, die in ökologische Zukunftsfelder investieren, kriegen günstigere Kredite als solche, die in Finanzanlagen investieren. Drittens ist mir die Tobinsteuer viel zu schnell beerdigt worden: Das ist der Vorschlag, spekulative Devisengeschäfte stärker zu besteuern. Viertens müsste ein neues Bretton Woods einen globalen Kohlenstoffmarkt organisieren – als Programm zur Finanzierung ökologischer Zielsetzungen.

Der letzte umweltpolitische Weltbeschluss war das Kiotoprotokoll, dass noch immer nicht funktioniert. Warum sollte ausgerechnet jetzt eine ökologische Regulierung klappen?

Weil es immer bestimmte Situationen in der Geschichte gibt, wo sich Konstellationen, Ideen, Probleme und Personen verbinden. Eine solche Phase wird jetzt möglich: Statt immer nur über Krisenmanagement zu reden, müssen wir eine Vision für den Neuaufbau suchen.

Schon das alte Bretton Woods funktionierte nicht so, wie sich das die Vordenker um Keynes erhofft hatten. Was war der Geburtsfehler?

Die einseitige Kettung an Amerika. Die Amerikaner wollten mit einer Fixierung auf den Dollar die Briten aus der Position der wichtigsten Welthandelsmacht rauskatapultieren. Was sie auch geschafft haben: Der Dollar wurde auf der ganzen Welt zur Leitwährung. Aber im Grunde war das nie die Position von Keynes. Der wollte niemanden in eine Dominanz setzen.

Wer stünde im Zentrum der neuen Wirtschaftsordnung?

Europa als wirtschaftsökologischer Motor. Das kann aber nur ein Zwischenschritt sein. Das Ziel müsste eine größere Regionalisierung sein.

Die Bundesregierung verkauft sich gern als klimapolitischer Vorreiter. Tatsächlich aber blockiert Deutschland derzeit entscheidende Punkte des EU-Klimapakets.

Wer die derzeitige Krise durchdenkt, kommt zu dem Schluss, dass ausschließliches Krisenmanagement nicht ausreicht. Man muss auch wissen, wie die nächste Epoche aussehen soll. Wir haben einen Epochenbruch; das ist mehr als eine periodische Übersteigung der Gewinnerwartung. Machen wir so weiter, dann werden die Verteilungskämpfe auf der Welt eine unglaubliche Entfesselung von Gewalt mit sich bringen. Wir können diesen Krieg gegen die Zukunft nicht mehr verlängern.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will aber neue Kohlekraftwerke.

Auch Gabriel weiß: Ein Kraftwerk, das heute gebaut wird, ist ja kein Kraftwerk für fünf oder zehn Jahre. Es läuft 40 Jahre. Und wenn ich bilanziere, dass in der Laufzeit dieses Kraftwerks der Emissionshandel vier-, fünfmal verschärft wird, dann darf angesichts der europäischen Klimaziele das Kraftwerk am Ende seiner Laufzeit noch 200 Gramm Kohlendioxid je Kilowattstunde Strom ausstoßen. Es wäre also kurzsichtig, heute vor allem auf neue Kohlekraftwerke zu setzen. Im Gegenteil: Wir müssen Kraftwerke überflüssig machen.

Trotzdem baut Vattenfall neue Kohlekraftwerke.

Vattenfall spekuliert darauf, dass die Politik kurzfristig einknickt. Das Grundproblem ist: Wir sind viel zu sehr auf eine kurzfristige ökonomische Strategie fixiert. Aber wenn ich eine längerfristige Betrachtung anstelle, dann weiß ich, dass jede Strategie, die jetzt nicht den Umbau der Energiewirtschaft forciert, uns 2020, 2030 dramatisch einholen wird. Das ist dieselbe Grundstruktur wie beim Finanzkapitalismus: Am Anfang hat es den Beteiligten einige Fortschritte gebracht. Jetzt holt es alle dramatisch ein.