: berliner szenen Fingerfreiheit
Kirschen auf Eis
So habe ich mir das immer gewünscht: Man haut sich an einem kalten Winterabend ins Bett, zittert die Luft unter den Daunen warm, und am nächsten Tag ist Frühling. Februarfrühling zwar, aber immerhin. Kaum zu glauben, vor allem weil die Wetterologen Regen und Glätte meldeten. Aber nein: Es gibt einen ersten Vorgeschmack auf die schönste Jahreszeit der Welt. Nicht dass ich gleich ein T-Shirt anziehen wollte, doch Schal und Handschuhe durften sich erstmals seit langer Zeit über eine Verschnaufpause freuen, ganz nackt an Hals und Fingern bin ich draußen rumspaziert. Fühlt sich schon viel besser an – diese verkrumpelte Wollwurst unterm Kinn los zu sein.
Komisch, da ist man vor nicht langer Zeit noch auf dem See Schlittschuh gefahren und ruck, zuck – schon wurde die Jahreszeit gewechselt. Los, Frühling, geh du mal für den Winter aufs Feld, der macht schon schlapp. Also ich habe nix dagegen, auch wenn man sich jetzt bestimmt wieder Sorgen wegen der Erderwärmung & Co. machen muss. Aber zur Feier des Februarfrühlingsanfangs beschloss ich lieber, Zweige mit Kirschblüten zu kaufen. Die hätte es gestern sicher noch nicht gegeben, aber heute stehen sie hier, mitten auf dem Bürgersteig der Sonnenallee. Und blühen bedächtig vor sich hin. Der Kirschblütenzweigverkäufer ist Wolfgang Clement, der sich spontan von der Politik auf die Floristik verlegt hat. Oder zumindest sein Bruder. „Schön heute, wa?“ Ich nicke begeistert. „Aber nicht, dass Sie die ganzen Kirschen alleine aufessen.“ Also, jetzt übertreiben Sie mal nicht, denke ich. Kirschen! Der Sommer ist schließlich noch eine Weile hin. Ist doch erst Februar. Wir sollten jetzt erst mal den Frühling genießen. Denn wer kann schon wissen, wie lange der dauert. JUTTA HEESS
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