So kaputt und doch so erbauend

Kleine Zeitmaschinen: Camper Van Beethoven machten nach 13 Jahren endlich wieder Musik im Columbiafritz

Als den „Fünf-Uhr-Schatten einer Stimme“ hat ein Kritiker Frontman und Songwriter David Lowery einmal bezeichnet. Kann schon sein, dass er Recht hatte, nur macht das nichts. Die Camper-Van-Beethoven-Fans jedenfalls sind froh, dass sie ihren Sänger nach so vielen Jahren wieder einmal sehen und hören können. Denn als die Band nach einer Hand voll Platten mit „My Beloved Revolutionary Sweetheart“ und „Key Lime Pie“ zwei der köstlichsten US- Folkrock-Alben überhaupt eingespielt hatte und gerade dabei war, ihren Bekanntheitsgrad heftig zu steigern, zerkrachte sie sich auch schon und löste sich Ende der 80er auf.

Entsprechend zittrige, fast ehrfürchtige Freude herrschte mithin vor dem Auftritt im recht gut besuchten Columbiafritz, so als könnte die Reunion auch ein kuscheliger Traum sein, der allzu schnell zerplatzt. Dann kommen die fünf endlich auf die Bühne. „Hello Cleveland!“, ruft Lowery. Ratlosigkeit im Publikum. Die Band ist distanziert und beginnt lustlos mit einem zwar wunderschönen, aber nur für den Mittelteil eines Konzerts geeigneten Liebeslied. Allein Jonathan Segel, der Mann mit der Geige, hängt in seinen Bewegungen spürbar mit der Musik zusammen – und natürlich Lowery, der aber sichtlich nervös an seiner Begleitgitarre herumruckelt. Seine Stimme ist inzwischen schon beim sehr späten Sechs-Uhr-Tee angekommen, und trotzdem ist es schön.

Eine Zeile wie „does she ever whisper in his ear about all her favourite fruit?“ verbreitet im ganzen Raum kleine Zeitmaschinen: Die meisten erinnern sich jetzt in tiefen, melancholischen Zügen an ihre erste Liebe in der Klein- oder Mittelgroßstadt, aus der sie kommen. War diese groß genug für ein alternatives Kulturzentrum oder zumindest für eine katholische Jugendeinrichtung, dann spielte hier unter Garantie irgendwann einmal eine Band mit einem komischen Namen, der auf uncoole Weise die Hintergrundmusik aus „Uhrwerk Orange“ und ein Wohnmobil zusammenschweißte. Umso offener standen dann aber die Münder der jungen wilden Zuhörer, als sie von der Nonchalance einer stark angetrunkenen Combo verzaubert wurden, die singend dazu aufforderte, die Skinheads zum Bowling mitzunehmen, und währendessen ihre Instrumente manchmal einfach zu vergessen schien –wie auch heute wieder der Drummer Frank Funaro seinen Rhythmus. Und dann dieses Outfit damals: langhaarig, im Poncho – so locker, wie man selber immer gerne sein wollte. „We’re the kings of the trash.“ So kaputt und doch so erbauend.

Doch mehr als zehn Jahre später steht eine Flasche Evian auf dem Verstärker. Dann gibt es auch noch eine Pause. Wütende „Fuck!“-Rufe und Segels Antwort, er könne gerade nicht, er sei zu kaputt. Schließlich kommen sie wieder. Und sind überraschend besser gelaunt. Der frühere Eindruck, dass sie das Wiederzusammenspielen im Grunde bereuen, verflüchtigt sich. Zwar hören wir den ganzen Abend lang nur einen einzigen neuen Song überhaupt, doch fehlt dafür bis auf „Borderline“ keiner von den ersehnten Ohrwürmern. Auch ein bisschen Zeit für Politik bleibt. „Bomb Texas!“, ruft Bassist Victor Krummenacher, und Lowery singt „Non-Islamist“ statt „Non-Communist“. Aber am Ende bleibt es dabei: Hier im Raum stehen die 80er. „They couldn’t hear the song in Russia“, weiß das letzte Lied. Aber immerhin – der eiserne Vorhang zwischen Band und Publikum ist verschwunden. Und jeder, der nun um zwölf Uhr nach draußen hastet, um noch die letzte U-Bahn zu kriegen, würde sich wünschen, dass CVB noch den Sprung auf den Zug ins neue Jahrtausend schaffen.

STEFAN DAVID KAUFER