Ohne die Gewerkschaft kein Aufschwung

Weltbank: Flächentarife und starke Gewerkschaften sichern ordentliche Arbeitsbedingungen – und Wirtschaftskraft

BERLIN taz ■ Welcher Begriff passt besser zu Gewerkschaften: Reformblockade oder wirtschaftlicher Aufschwung? Für die Weltbank ist die Antwort eindeutig: „Gewerkschaften sorgen für Wirtschaftswachstum“, heißt es in ihrem am Mittwoch in Washington vorgestellten Bericht „Wirtschaftliche Auswirkungen von gewerkschaftlicher Organisation in der globalisierten Welt“, der auf der Auswertung von mehr als 1.000 Einzeluntersuchungen basiert.

In Ländern mit starken gewerkschaftlichen Strukturen und Flächentarifverträgen profitiert demnach nicht nur das einzelne Mitglied, indem es besser bezahlt wird, weniger arbeiten muss, länger beschäftigt und weniger diskriminiert ist. Auch die Wirtschaft ist insgesamt stärker: Arbeitslosenrate und Inflation sind niedrig und die Produktivität sowie die Fähigkeit, Krisen zu verarbeiten, hoch.

Die Autoren machen jedoch auch klar, dass sie diese positiven Effekte nicht allein den Gewerkschaften, sondern der Zusammenarbeit beider Sozialpartner zuschreiben. Diese nütze in der Regel beiden Seiten: „Gemeinsame Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sind ein wesentlicher Faktor für den Arbeitsmarkt und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“, heißt es im Bericht. Ein wesentlicher Punkt hierbei sei der soziale Frieden: Weniger und kürzer andauernde Streiks seien „ein wichtiges Kriterium bei Investitionsentscheidungen in- wie ausländischer Unternehmen“, sagte die stellvertretende Weltbankdirektorin Mamphela Ramphele.

Für besonders bemerkenswert halten die Autoren, dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen Weißen und Nichtweißen verringert. So fanden sie heraus, dass organisierte Frauen in Deutschland, Japan, Mexiko und Südafrika einen sehr viel größeren Lohnvorteil gegenüber ihren nicht organisierten Kolleginnen haben, als dies bei Männern der Fall ist. In den USA und ebenfalls in Großbritannien gelte das Gleiche für Schwarze, in Mexiko und Kanada für Indigene. Auf diese Weise schlössen diskriminierte Gruppen zumindest bei der Bezahlung langsam auf – wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren.

Die Ergebnisse der Untersuchung passen der Weltbank gut ins Konzept. Schließlich weisen ihre Experten seit langem auf eine gefährliche Entwicklung hin: Der rapide Anstieg des internationalen Handels, die Liberalisierung der Finanzmärkte und neue Technologien lassen Sozialstandards wie Organisationsfreiheit, gerechte Bezahlung, das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit sowie Arbeitsschutz immer stärker als Kostenfaktor erscheinen. Länder mit niedrigen Arbeitsnormen sind im Vorteil. Kein Wunder, dass ein weltweiter Senkungswettlauf stattfindet.

Der neue Bericht, der als der weltweit aktuellste und umfassendste zum Thema gilt, soll nun auch den Regierungen dieser Länder deutlich machen, dass sie davon auf längere Sicht keineswegs profitieren, sondern mit sozialen Unruhen, aber auch hohen Arbeitslosen- und Inflationsraten rechnen müssen.

Darüber hinaus gehöre das Thema auf die internationale Agenda, sagte Mitautor Zafiris Tzannatos. „Die globale Arbeitsteilung verändert sich so rasant, dass Arbeitsnormen nicht mehr einzig die Sorge nationaler Regierungen sein können, sondern die gesamte internationale Gemeinschaft betreffen.“

BEATE WILLMS